US 1982, R: Stephen Sayadian, D: Andrew Nichols, Paul McGibboney, Michelle Bauer, 73′, OmeU, DCP
„Fähig zu existieren, zu spüren…alles zu fühlen – außer sexuelle Lust. In einer zerstörten Welt, einem mutierten Universum, teilen sich die Überlebenden auf in solche, die es können, und solche, die es nicht können. 99% sind Sex-Negative. Erotische Opfer. Sie wollen Sex haben, aber die bloße Berührung einer anderen Person macht sie krank. Der Rest, die glücklichen ein Prozent, sind die Sex-Positiven, diejenigen, deren Libido unversehrt geblieben ist. Nach dem Nuklearen Kuss bleiben die Positiven übrig, um zu lieben und zu funktionieren… Und die anderen, nun ja, wir Negative können nur zusehen… können nur kommen… ins… CAFÉ FLESH…“
Stephen Sayadians Hardcore-Film scheiterte bereits eine Woche nach der Premiere in Hollywoods Pornopalast, dem Pussycat Theatre. Zu befremdlich. Das Publikum wollte sein Geld zurück.
Doch CAFÉ FLESH wurde später als Kultfilm in den Mitternachtskinos wiederentdeckt, brach den Hausrekord im Nuart Theatre in LA und löste den Publikumsliebling PINK FLAMINGOS ab. Mit seinem farbenfrohem Dekor, dem Nu-Wave-Stil, seiner Synthese aus Punk-Mode und Fünfziger-Jahre-Dialogen übte er einen besonderen Reiz sowohl auf das ein junges, kunsthungriges Publikum als auch auf die lokale Punk-Szene aus, zu der Sayadian eine besonders Nähe hatte.
Restauriert von Peter Blumenstock.
Fr 04 Okt | UT Connewitz |
20:00 Uhr | Mit einem anschließenden Gespräch mit Daniel Bird (Autor und Kurator) € 7 (6 ermäßigt), im Doppel mit DR. CALIGARI € 12 (10 ermäßigt) |
US 1989, R: Stephen Sayadian, D: Madeleine Reynal, Fox Harris, Laura Albert, 80′, OmeU, DCP
Sexuell verwirrt und stilistisch aus den Fugen geraten, zeigt diese psychedelisch-surrealistische Neo-Noir-Bearbeitung des deutschen Expressionismus-Klassikers von 1920 Laura Albert als Frau Van Houten – eine Dame, deren Libido gefährlich außer Kontrolle geraten ist. Es gibt nur einen Ort für sie: die Caligari-Nervenheilanstalt. Madeleine Reynal spielt Dr. Caligari, die Enkelin des ursprünglichen Doktors, deren eigene Experimente in der Psychosexualtherapie sie an den Rand einer radikalen Behandlung mit Hormonaustausch gebracht haben. Nachdem sie den sexuell unterdrückten Ehemann von Frau Van Houten unter Drogen gesetzt und eingesperrt hat, will Caligari die Gehirnflüssigkeit der unheilbar nymphomanischen Frau Van Houten extrahieren und in den Kopf eines kannibalischen Serienmörders (John Durbin) injizieren, der der Elektrokrampftherapie verfallen ist. Was kann da schon schief gehen?
Mit dem aufsehenerregenden Bühnenbild von Stephen Sayadian (NIGHT DREAMS, CAFÉ FLESH), der üppigen Synthesizer-Musik von Mitchell Froom und den von Jerry Stahl (PERMANENT MIDNIGHT) geschriebenen Dialogen wirft DR. CALIGARI eine schmutzige Bombe auf die Familienwerte der Reagan-Ära. Der Film parodiert sowohl die Massenmedien als auch die Popkultur durch eine Reihe von inszenierten Zitaten, die ebenso exquisit gestaltet wie sexuell aufgeladen sind.
Fr 4. Okt | UT Connewitz |
22:00 Uhr | Mit einem anschließenden Gespräch mit Daniel Bird (Autor und Kurator) € 7 (6 ermäßigt), im Doppel mit CAFÉ FLESH € 12 (10 ermäßigt) |
Tröten raus!
Luftschlangen!
Korken geknallt!
Schampus geschlürft!
Das GEGENkino hat runden Geburtstag!
10 Jahre voller markantem bis abseitigem Kino, waghalsigen Filmvertonungen, erkenntnisreichen Gesprächen mit Euch und unseren zahlreichen Gäst:innen, extravaganten Performances, Parties, Zigaretten und visuellen Experimenten jenseits der klassischen Leinwand. Na wenn das kein Grund zum Schulterklopfen ist?! Na gut, vielleicht ganz kurz. 10 Jahre sind es also nun mit uns und dem Festival – Rosenhochzeit sozusagen. Ein kleiner Meilenstein. Die Beziehung ist bei uns allerdings nicht auf traute Zweisamkeit ausgerichtet, sondern wir sind ein Geflecht von (gar nicht so) Vielen, die nahezu das ganze Jahr übers GEGENkino nachdenken und daran arbeiten. DANKE an alle, die bisher in irgendeiner Form beteiligt waren – Förder:innen, Spielstätten, Menschen, Publikum – wir freuen uns, dass es uns gibt!
So. Nun zur Jubiläumsausgabe. Auch dieses Jahr zelebrieren wir lustvoll GEGENentwürfe. So vertonen etwa die räudigen Punk-Poeten von PISSE extra für uns den visionären 70er-Gay Erotica-Klassiker BIJOU neu. Passend dazu blicken wir mit der Reihe BAD GIRLS GO TO HEAVEN ins weiblich geprägte US-Genre- und Exploitation-Kino der 1960er bis 80er Jahre und lassen Arbeiten von Roberta Findlay, Doris Wishman und Stephanie Rothman über die Leinwand flimmern. Außerdem fokussieren wir in ORTE, WORTE, RHYTHMEN das vielseitige Schaffen des deutschen Filmemachers und Kameramanns Rainer Komers und widmen uns an einem Abend den beeindruckenden Filmexperimenten der peruanisch-französischen Künstlerin Rose Lowder. Beide werden in Leipzig zu Gast sein, um ihre Filme persönlich vorstellen. Wie immer versuchen wir, wenn möglich, die historischen Arbeiten als analoge Kopien in 16 oder 35mm zu zeigen. Einen weiteren Filmstreifen-Genuss bietet unsere Carte blanche an die feministische, in Frankfurt am Main ansässige, Kinothek Asta Nielsen. Lou Deinhart wird eine speziell für uns zusammengestellte Kurzfilmrolle präsentieren. Mit dem Programm OUR SCREENS springen wir ins digitale Zeitalter und interessieren uns für die Wechselwirkungen von Film und Computerspielwelten: wir zeigen neben einem aus unserer Feder kuratierten Kurzfilmprogramm den animierten Dokumentarfilm KNIT’S ISLAND.
Wie immer flankieren wir unsere Programme mit eigenwilligen Perlen der gegenwärtigen, internationalen Festivalszene. Um die Jubiläumstorte versammeln sich eine überarbeitete, rumänische Content-Produzentin, ein Teheraner Drogentaxi-Kurier, ein queerfeministisches Knast-Musical aus Argentinien, ein charismatisch-mordender Ösi-Milliardär, der oft entschleunigte Alltag linker Kämpfe, ein von Addis Adeba Abschied nehmender Jazz-Musiker, eine rotzfreche Frauen-Clique auf Sardinien, eine Winterschlaf haltende Menschheit, eine Vater-Sohn-Beziehung zwischen Leipzig und Aleppo und ein brasilianischer Umerziehungs-Guru. Was? Das reicht noch nicht? Na dann ab ins Milieu-Kino im Rabet! Wie letztes Jahr auch haben wir den umgebauten Kinotruck aus Wien zu Gast und projizieren eine Auswahl an Cartoons für die Kleinen und Subkultur-Klassiker neben sexy Camp-Streifen für die Älteren. Wem das immer noch nicht genug ist, den erwartet kurz nach dem Festival ein erotisches Double Feature.
Denn: nach dem GEGENkino ist vor dem GEGENkino. Der Underground schläft nicht. Auch wenn wir mit unseren noch jungen 10 Jahren das eigene Programm gar nicht selbst sehen dürfen und uns die Nasen nur verstohlen an den Werbefenstern des UT Connewitz platt drucken können oder mit geröteten Wangen durch einen Spalt im Kinotruck flüchtige Lichtfetzen zu erhaschen versuchen: Wir haben Bock drauf. Feiert doch ne Runde mit!
ES 2024, R: Anna Cornudella, D: Clara Muck Dietrich, Demetrius Hollimon, Jane Hubbell, 90′, engl. OV, DCP
„Spekulieren“ kommt vom lateinischen Wort speculari, was soviel heißt wie erspähen, auskundschaften, beobachten oder belauern. In der letztjährigen Ausgabe warfen wir mit der Reihe ANIMAL REALITIES dokumentarisch-experimentelle Blicke auf das Mensch-Tier-Verhältnis. THE HUMAN HIBERNATION ersinnt nun einen fiktionalen Stoff, in der die menschliche Spezies dreimonatigen Winterschlaf hält und führt die Fäden des vergangenen GEGENkinos mit faszinierender Kühnheit fort: Erin, ein Kind, erwacht vorzeitig aus der Winterruhe und verschwindet. Wir folgen der großen Schwester Clara bei ihrer Suche nach Antworten, für die sie sich mit den Erzählungen einer Gesellschaft auseinandersetzt, die eigenwilligen Gesetzmäßigkeiten unterworfen ist.
Auf Grundlage eines spekulativen Rechercheprojekts in den USA entwirft die Medienkünstlerin Anna Cornudella mit ihrem Co-Autoren Lluís Sellarès eine denk- und erfahrungswürdige Welt voll verformtem Sozialverhalten. Die titelgebende „Hibernation“ lässt die Menschen näher ans Reich der Tiere rücken und mit diesem intimere Verbindungen eingehen, verändert Gewohnheiten ebenso wie Biologie und Glaubenssysteme. Dabei fordert Cornudella mit ihrem subtilen, mehrdeutigen Erzählen dazu auf, ihre Ideen konzeptionell weiterzudenken, aber auch Bilder und Sounds in einer unmittelbareren Weise auf sich wirken zu lassen. Der Sturz aus der Krone der Schöpfung birgt Unbekanntes. Belauern wir es.
So 8. Sept | Schaubühne Lindenfels |
17:00 Uhr | € 7 (6 ermäßigt) |
Vertonung | Pisse
It’s about to get sleazy. In seinem Klassiker des all male-adult films erzählt Wakefield Poole die Erlebnisse eines als „straight“ markierten Bauarbeiters und dessen Reise in unbekannte Sehnsüchte. Wir folgen dem mit Oberlippenbart, Flanellhemd und Schutzhelm ausgestatteten Namenlosen nach seiner Schicht auf dem Nachhauseweg durch die Straßen New Yorks. An einer Straßenecke wird eine Frau von einem Auto angefahren – dabei fliegt ihm ihre Handtasche vor die Füße. Er schnappt sich die Tasche, in der er zu Hause neben einem Lippenstift – erster und bei weitem nicht letzter Phallus der Geschichte – eine Einladung in den Club Bijou findet, der er ohne Weiteres nachkommt. Bei seinem Besuch trägt er unter seiner Denim keine Unterwäsche. Was folgt ist eine dichte Abfolge aus Fleisch und Farbe: sex driven surrealism, bei dem unser Protagonist allerdings weniger als aktiver Teilnehmer in Erscheinung tritt, sondern als zurückhaltende, womöglich schuldbeladene, Nebenfigur.
BIJOU
US 1972, D: Wakefield Poole, A: Bill Harrison, Robert Lewis, Peter Fisk, Cassandra Heart, 75’, no dialogue/projected silently, DCP
Trotz geringen Produktionsbudgets – die Clubszenen wurden innerhalb von vier Tagen in der Wohnung des Regisseurs gedreht – zieht Poole, der neben der Regie als Kameramann und Cutter tätig war, auf visueller Ebene alle Register: Split-Screens und mehrfache Bildüberlagerungen vermitteln den Zuschauenden die Gedankenwelt des Protagonisten. Hinzu kommen Spiegelkabinette und ein höchst expressiver Einsatz von Farbe und Licht, während das räumliche Setting aufs Wesentliche beschränkt bleibt. BIJOU stellt trotz all der geballten „Man on Man Action“ einen höchst avantgardistischen Beitrag zur Gay Erotica dar – für Heteros der perfekte Einstieg ins Genre.
Ob Einstieg ins Genre oder nicht: zusätzlich versüßen wird das Ganze die Post-Punk-Band Pisse. In einer Auftragsarbeit des GEGENkinos widmet sie sich einer Neuvertonung von BIJOU. Ähnlich wie den Bauarbeiter des Films umweht Pisse seit ihrer Gründung vor über zehn Jahren eine Aura des Mysteriösen und der Unnahbarkeit. Die Mitglieder der Band aus Sachsen, die mittlerweile deutschland- und sogar weltweit Bekanntheit erlangt hat, streuen bewusst unzuverlässige Informationen über sich. Sie verweigern sich konsequent dem kommerziellen Musikbetrieb, stellen ihre Alben neben der Veröffentlichung in Vinyleditionen stets begleitend als Downloads zur Verfügung, bei denen man den Preis, den man dafür bezahlt, selbst bestimmen kann. Die Tageszeitung taz vergleicht Pisse mit dem sarkastischen Punk der frühen Goldenen Zitronen. Auch Kritiker:innen anderer Musik-Magazine begeistern sich für ihren Sound: Der Musikexpress wählte das Album „Mit Schinken durch die Menopause“ 2023 zu den 50 besten Punkalben aller Zeiten.
Wir dürfen gespannt sein, wie die Band, deren Instrumentierung mit einem Theremin bereits für eine Punkband eher ungewöhnlich ist, mit den Bilderreigen von BIJOU umgeht: ob sie sich an der Struktur des originalen Filmscores – beschwörend-atmosphärische Kompositionen und Loops von Gustav Holst und Alan Hovhaness, die durch eine Prise Led Zeppelin unterbrochen wird – orientieren. Ob sie eventuell Textfragmente oder Sprachfetzen einarbeiten, da ja die Pisse-Texte ihresgleichen suchen und es ja fast schade ist ohne. Ob sie vielleicht mehr Gewicht auf Synthesizer und Theremin legen. Oder ob sie mit Samples und Elektronik arbeiten. Wir wissen es nicht. Ulrich Gutmair schreibt ebenfalls in der taz über die Band: „Bei aller Räudigkeit sind Pisse mit den Wassern der Avantgarde gewaschen.“ Soweit also Gutmair. Der offizielle Promo-Text der Band dagegen verlautbart: „Gepeitscht vom Ekel spielen Pisse niedrige Musik für ein ehrloses Publikum.“ Wir freuen uns auf ästhetische Reibungsmomente zwischen Bild und Sound. Es wird ein Fest.
Fr 13. Sept | UT Connewitz |
20:00 Uhr | Mit einer Einführung von Marco Siedelmann € 15 |
Fr 13. Sept | UT Connewitz |
20:00 Uhr | Zusatzshow € 15 |