15.09.2023 | Richard Siedhoff vertont an der Welte-Orgel: BEGOTTEN & SCHENEC-TADY III

Vertonung | Richard Siedhoff

Im Musikinstrumentenmuseum der Universität, das im GRASSI Museum Leipzig beheimatet ist, türmt sich hinter der Leinwand des großen Saals eine echte kinogeschichtliche Rarität auf: eine 1929 erbaute Kinoorgel der Firma M. Welte & Söhne. Die sogenannten Welte-Orgeln wurden für den Stummfilm als Begleitinstrument entwickelt. Mit ihrem facettenreichen Pfeifenwerk lässt sich ein ganzes Orchester imitieren. So ertönen Oboen, Pauken, Trompeten und Kastagnetten, aber eben auch – und das ist das eigentliche Spektakel: Telefonklingeln, Rummelgeräusche, Schiffssirenen, Lokomotiven und vieles mehr. Effektregister machen es möglich, dass die Interpret:innen die Leinwandphänomene mit Sounds begleiten konnten, die das Publikum vom modern gewordenen Alltag her kannte.

Die aus mehreren tausend Teilen bestehende Leipziger Kinoorgel wurde 2006 aufwendig restauriert. Heute existieren nur noch wenige der oftmals ausrangierten oder kriegszerstörten Orgeln; am ehesten noch im filmmusealen Kontext und mit leider überschaubaren Einsätzen. In Kooperation mit dem GRASSI Museum möchte das GEGENkino diese altehrwürdige wie eindrucksvolle Kulturtechnik wiederbeleben und zugleich mit einer Filmkultur verzahnen, mit der sie ursprünglich in keinerlei Zusammenhang stand: dem transgressiven US-Undergroundkino der 1980er Jahre.

BEGOTTEN

US 1989, R: E. Elias Merhige, D: Brian Salzberg, Donna Dempsey, Stephen Charles Barry, 72’, ohne Dialog u. stumm projiziert, 16mm

E. Elias Merhiges (*1959 in New York) Low-Budget-Film BEGOTTEN ist ein Schlüsselwerk des postklassischen, semi-narrativen Experimentalfilms. In grobkörnigen Schwarzweißbildern – sie wirken so, als hätte man sie auf einer verwaschenen VHS gefunden – zieht vor unseren Augen ein Fiebertraum vorbei. Ohne sprachliche Vermittlung werden wir in eine schemenhafte Welt katapultiert, in der Gestalten mit (je nach Interpretation) altertümlichen oder außerweltlichen Kostümen durch Kraterlandschaften schlurfen, Rituale praktizieren und sich gegenseitig Schmerzen zufügen. Die Tonebene des Films ist gegenüber der wuchtigen Visualität stark zurückgenommen, besteht aus dronigen Klangteppichen und Sounds, die lose Entsprechungen zum Gezeigten suchen. Naheliegend also, eine klangliche Neuinterpretation zu wagen! Mit der Kinoorgel können so alle Register gezogen werden: Von romantisch-orchestraler Unterstützung der Bildmystik bis zu verfremdenden Einsätzen mittels der Effektregister ist alles möglich – und erwünscht. Der Regisseur Merhige zu unserem Konzept: „The combination of the historical cinema organ, a renowned artist like Richard Siedhoff, and my film has the potential to create a unique and profound experience for the audience. (…) It‘s truly fascinating and I applaud their innovative spirit.“

SCHENEC-TADY III

DE 1976, R: Heinz Emigholz, 20’, stumm, 16mm

Auch beim filmischen Vorprogramm betreten wir gemeinsam Neuland: Heinz Emigholz‘ (*1948 in Achim) SCHENEC-TADY III schlägt man üblicherweise dem strukturalistischen Film zu – einer Konzeption von Film, die sich mit mathematischer Strenge den filmischen Grundelementen Zeit und Raum annimmt. Wie Emigholz’ Film stumme Schwarzweißbilder einer Waldlichtung zu immer neuen Konstellationen arrangiert und invertiert, ist kein dröges Experiment, sondern fast schon Leinwand-Expressionismus.

Der Pianist und Organist Richard Siedhoff begleitet Stummfilme mit Eigenkompositionen und Improvisationen in namhaften Filminstitutionen wie den Stummfilmtagen Bonn, der Weimarer Stummfilm-Retrospektive und dem Zeughauskino Berlin. Eigentlich auf historische Spielpraxen spezialisiert wird er nun die Kinoorgel „zweckentfremden“ und ihre Klangvielfalt ausreizen. Nicht genug: Der analogfilmaffine Musiker stellt auch seine beiden 16mm-Projektoren auf – ein rein analoger Abend! 

Fr 15. SeptGrassi Museum
20:00 Uhr€ 12 VVK / € 14 AK

TRAILER