15.09.2025 | HER FIVE LIVES – Feministisches Kino aus Zentralasien
HER FIVE LIVES



UZ 2022, R: Saodat Ismailova, 13’, no dialogue, DCP
FARANGIS


TJ 2022, R: Lolisanam Ulugova, 22’, Russische OmeU, DCP
AUTONOMY
UZ 2022, R: Zumrad Mirzalieva, 7’, no dialogue, DCP
THE LATE WIND


KZ 2023, R: Shugyla Serzhan, 23’, Kazakh OmeU, DCP
MOSCOW TIME


KG 2020, R: Gulzat Egemberdieva, 12’, Kyrgyz OmeU, DCP
Über drei Jahrzehnte nach dem Zerfall der UdSSR bestehen die geopolitischen Herausforderungen für die unabhängigen und jungen Nationen Zentralasiens fort – Kasachstan, Usbekistan, Tadschikistan, Kirgisistan und Turkmenistan navigieren zwischen dem Westen, Russland und China durch komplexe Abhängigkeitsverhältnisse. Inmitten dieser sozio-politischen Spannungen ist der Film zu einem wichtigen Sprachrohr für eine postsowjetische Generation geworden. Insbesondere weibliche Filmschaffende zeigen dabei einen kritischen Umgang mit ihrer gesellschaftlichen Rolle, die sowohl vom sowjetischen Erbe als auch vom Islam geprägt ist.
Abgesehen von wenigen unabhängigen Initiativen wie der Tashkent Film School fehlen in der Region jedoch bis heute lokale Infrastrukturen für Filmbildung. Nur wenigen war es möglich, in Europa, den USA oder in Moskau eine Filmhochschule zu besuchen. Besonders Frauen sind für ein Studium im Ausland sowohl finanziell als auch gesellschaftlich benachteiligt, denn in den muslimisch-konservativ geprägten Ländern bleibt die Rolle der Frau aufgrund patriarchaler Strukturen der des Mannes untergeordnet. Dabei war die „weibliche Emanzipation“ einst ein zentrales politisches Instrument der Bolschewiken: 1918 verankerten sie die Gleichberechtigung der Geschlechter in der Verfassung und legalisierten als erstes Land der Welt Abtreibungen. Von Männern inszeniert, wurde im sozialistisch geprägten Film die „Befreiung“ muslimischer Frauen aus Zentralasien zu einem beliebten Sujet. Doch im Gegensatz zu Schauspielerinnen gab es auch zu Sowjetzeiten nur wenige Regisseurinnen (geschweige denn welche aus Zentralasien) – ihre propagierte Emanzipation blieb letztlich auf eine passive und repräsentative Rolle vor der Kamera beschränkt.
Durch den technologischen Fortschritt und das von Filmschaffenden aus der Diaspora mitgebrachte Wissen entwickelt sich in den letzten zwei Jahrzehnten eine wachsende zentralasiatische Filmszene, die bemerkenswerte weibliche Stimmen hervorgebracht hat. Dem Titel des ersten Kurzfilms entlehnt zeigen wir in HER FIVE LIVES fünf Geschichten von und über Frauen. Die wohl bekannteste Filmemacherin aus der Region ist die aus Usbekistan stammende Saodat Ismailova, die auch als Künstlerin international bekannt ist. Ihre Werke setzen sich machtkritisch und feministisch mit der Geschichte ihres Landes auseinander, so auch in dem vollständig aus Archivmaterial montierten Kurzfilm HER FIVE LIVES. Usbekische Schauspielerinnen ins Zentrum stellend interpretiert sie die Geschichte von Frauen vor dem Hintergrund wechselnder politischer Ideologien in ihrer Heimat neu.
2022 gründete Ismailova das DAVRA-Kollektiv mit weiblichen Kulturschaffenden aus Zentralasien. Zu ihnen gehört auch Zumrad Mirzalieva, die in AUTONOMY eine zentrale Frage aufwirft: Existieren neben Mutterschaft und Ehe noch andere weibliche Rollenbilder in Usbekistan? Ähnliche Herausforderungen beleuchtet Lolisanam Ulugova aus Tadschikistan in FARANGIS: Ihre Protagonistin ist eine 25-jährige Primaballerina, die sich unter zunehmendem gesellschaftlichem Druck zwischen Ehe und ihrer Tanzkarriere entscheiden muss. In THE LATE WIND erzählt die kasachische Regisseurin Shugyla Serzhan von einer Frau, deren Partner nach der Schwangerschaftsankündigung spurlos verschwindet und die damit ein gesellschaftliches Stigma erlebt. Im Hintergrund toben auf den Straßen Almatys die Proteste gegen Präsident Tokajews Energiepolitik, die Anfang 2022 von der kasachischen Regierung gewaltsam niedergeschlagen wurden. Gulzat Egemberdieva wiederum wirft in MOSCOW TIME einen einfühlsamen Blick auf ein junges Mädchen in einem kirgisischen „Geisterdorf“, das zur Sowjetzeit durch den Bergbau florierte. Ihre Mutter lebt als Arbeitsmigrantin im fernen Russland – wird sie ihr folgen, wenn sie erwachsen ist?
Das Programm wurde kuratiert von Azem Bekturova und beleuchtet fünf Stimmen einer bislang wenig beachteten Region, in der Frauen sowohl kritisch in die Vergangenheit schauen als auch essentielle Fragen zu ihrer Zukunft stellen, während die Prozesse der Identitätsfindung und -bildung in Zentralasien andauern.
Mo 15 Sept 2025 | Schaubühne Lindenfels |
18:30 Uhr | € 7,5 (6,5 ermäßigt) In Anwesenheit von Gulzat Egemberdieva (Regisseurin) und Tolganay Talgat (Regisseurin, Schauspielerin in THE LATE WIND) – im Gespräch mit der Kuratorin Azem Bekturova |