16.09.2023 | Das ziellose Kino des MARTIN MÜLLER

Hommage | Martin Müller

Martin Müller (*1947 in Pausa/Vogtland) ist heute leider weitgehend ein Unbekannter des deutschen Kinos. Das liegt wohl teils an seinem schmalen OEuvre als Regisseur – knapp zehn Kurz- und Langfilme entstanden zwischen 1967 und 1982 (hinzu kommen zahlreiche Regieassistenzen und Tonarbeiten) –, hat aber auch mit der gängigen Rezeption der Oberhausener und des Neuen Deutschen Films zu tun. Im Schatten von Kluge, Schlöndorff, Wenders, Fassbinder und Co. stehen nämlich bis heute einige der interessantesten Filmemacher:innen der Zeit. Was für Müller zutrifft, gilt so auch für die sogenannte Münchner Gruppe, deren jüngstes Mitglied er war. Zwischen 1964 und 1972 schufen hier Jungfilmer wie Klaus Lemke, Rudolf Thome, Max Zhilmann, Eckhart Schmidt – und an der Peripherie u.a. May Spils, Werner Enke und Marran Gosov – Filme, die sich sowohl vom gediegenen Kino der Großstudios als auch vom politisiert-pädagogischen Impetus der selbsternannten Erneuer des deutschen Films abhoben. Ihr Kino sollte lässig daherkommen, mit dem eigenen Leben und Empfinden zu tun haben. Ein uneitles, häufig lustiges Gegenwartskino, das seine Ziel- und Tendenzlosigkeit stolz vor sich herträgt.

ANATAHAN, ANATAHAN

DE 1968, R: Martin Müller, D: Veith von Fürstenberg, Klaus Lemke, Sonja Lindorf, Werner Enke, 50’, dt. OV, digital

Der Vorspann listet die Namen der „Beteiligten“ ohne Funktionen nacheinander auf, vermengt dabei Filmcrew und eigene Idole: Martin Müller, Bob Dylan, Veith von Fürstenberg, Amon Düül II, Sonja Lindorf. In der Schwabinger WG wird nämlich viel Musik gehört – mit ihr gelebt. 

Man lebt in den Tag hinein, hält sich mit Statist:innenjobs über Wasser (auf jede Produktion mit Langhaarigen sei man eh abonniert), ruft sich von Zimmer zu Zimmer an, wenn man etwas braucht, plant ein Theaterstück, dessen Text schlicht aus einer Collage herausgerissener Seiten von Klassikern besteht. Am Ende bleibt von diesem Vorhaben nur der Musikpart übrig. „Erfolgreicher“ ist da schon Veith, der einen Kurzfilm namens ANATAHAN, ANATAHAN gedreht hat. Dort streift ein von Werner Enke verkörperter Slacker durch die Straßen und bezahlt partout nicht für Obst und Kaffee. Der im letzten Jahr verstorbene Outlaw-Independent-Auteur Klaus Lemke ist in seiner Rolle des deutschen Hollywoodregisseurs von diesem Debüt beeindruckt, verspricht Veith eine Karriere. Als Jungfilmer, der es mit dem Pseudonym „Montgomery Hathaway“ über den großen Teich geschafft hat, greift er auch augenzwinkernd den Hollywoodfimmel der Münchner Gruppe auf. Wunsch, Ironie und die Realität des eigenen Alltags fließen in ANATAHAN, ANATAHAN ineinander. Ein vergessenes Meisterwerk des unangepassten BRD-Kinos jenseits jeder Problemfilmhaftigkeit. 


Vorfilme

DIE KAPITULATION

DE 1967, R: Martin Müller, D: Katja Borsche, Klaus Lemke, Marran Gosov, 10’, dt. OV, 35mm

DER ZINNSOLDAT

DE 1968, R: Martin Müller, D: Uschi Obermaier, Christian Fiedler, 11’, dt. OV, 35mm

UNSER DOKTOR

DE 1970, R: Martin Müller, D: Martin Müller, Max Zhilmann, Veith von Fürstenberg, 10’, dt. OV, 35mm

Der mittellange Hauptfilm wird ergänzt um drei Kurzfilme von Müller, die in zeitlicher Nähe zu ANATAHAN, ANATAHAN entstanden und für seinen spielerischen Umgang mit der kleinen Form stehen: DIE KAPITULATION (1967), DER ZINNSOLDAT (1968) und UNSER DOKTOR (1970). Die raren 35mm-Kopien – Unikate! – stellt uns Bernhard Marsch zur Verfügung, Filme- und Kinomacher sowie Gründungsmitglied des unter Cinephilen legendären Kölner Filmclubs 813 e.V. Marsch kennt sich wie kaum ein:e andere:r mit der Münchner Gruppe und dem BRD-Kino der 1960er bis 80er jenseits von Papas und Wenders-Schlöndorffs-Kino aus. Er wird mit Martin Müller und euch zu seinem Werk und dessen Entstehungszeit ins Gespräch kommen.

Sa 16. SeptLuru Kino in der Spinnerei
20:00 UhrIn Anwesenheit von Martin Müller. Das Gespräch führt Bernhard Marsch (Filmclub 813 Köln).
€ 6,5 (5,5 erm./red.)