Lesung, Diashow & Film | Jörg Buttgereit
NICHT JUGENDFREI! TAGEBUCH AUS WEST-BERLIN


Mit NEKROMANTIK (1988), DER TODESKING (1989), SCHRAMM (1993) und anderen Titeln hat Jörg Buttgereit die Nerven und den guten Geschmack der hiesigen Bürgerlichkeit und darüber hinaus strapaziert und zugleich maßgebliche Impulse für den Horrorfilm gesetzt. In seinem im Juni veröffentlichten Buch „NICHT JUGENDFREI“ blickt er nun, im Alter von fast 60 Jahren, auf sein Schaffen zurück – nicht nur als Filmemacher und Special Effects-Supervisor, sondern auch als Comicautor, Theater- und Hörspielregisseur. Dabei bietet das Buch einen höchst unterhaltsamen und reich bebilderten Einblick in das Entstehen der Filme, das bestimmt war von geringen Budgets und einem DIY-Spirit, der vor detaillierten Wundinszenierungen und aufwändig konstruierten Körperflüssigkeits-Fontänen nicht zurückschreckte. In der Rückschau auf seine Jugendjahre erweist sich Buttgereit zudem als sachkundiger Kenner diverser Musik- und Filmphänomene – angefangen von Martial Arts-Streifen und Monsterfilmen bis hin zur Punkkultur. Damit liefert er nicht nur Antworten auf die Frage, welche subkulturellen Einflüsse ihn geprägt haben, sondern er zeichnet im Vorübergehen zudem ein Porträt des Berliner Undergrounds in den Wendejahren.
NEKROMANTIK
DE 1988, R: Jörg Buttgereit, D: Beatrice Manowski, Daktari Lorenz, Harald Lundt, 75’, dt. OV, 35mm


Das Label des Skandalfilms verstellt den Blick auf die Sinnlichkeit, die in Jörg Buttgereits Langfilm-Debüt steckt: Bereits, wenn zu Filmbeginn Uwe Bohrers präzise Kamera den Schauplatz eines Autounfalls zu hypnotischen Soundtrackklängen abschreitet und uns so erstmals deformierte Körper vorführt, ahnt man, dass wir es hier mit weit mehr als mit kalkulierten Schocks zu tun haben. Diese Blicke haben etwas Zärtliches, sie haben mit der Liebe zum Gebastelten und der Faszination für die Unzulänglichkeiten des Körpers zu tun.
„Jede Gesellschaft bekommt die Filme, die sie verdient“, hat Buttgereit einmal gesagt. Und so folgt später eine Parallelmontage, in der die Häutung eines Kaninchens mit einer Leichenobduktion verschränkt wird, bis plötzlich eine Gartenzwergfratze aufpoppt. Wir sind in einer Kleingartensiedlung – der ultimative Horror? NEKROMANTIK ist manchmal eben auch eine Komödie. Solche Szenenwechsel braucht es wie die Kalauer und den Splatterslapstick vielleicht auch, um die seelischen Abgründe drumherum erträglich zu machen.
Die Geschichte ließe sich als Psychogramm eines Mannes beschreiben, der die Haftung zur Welt verloren hat, den seine Traumabewältigung in Zonen absteigen lässt, in die ihm niemand mehr zu folgen bereit ist. Dabei scheint es in den eigenen vier Wänden zunächst gut zu laufen. Betty teilt Robs Vorliebe für Leichen. Als sie ihn verlässt, bricht seine ohnehin brüchige Welt in zwei. Eine Passionsgeschichte in extremen Bildern.
| Do 7 Sept | UT Connewitz |
| 19:00 Uhr | Lesung und Präsentation auf Deutsch € 11 VVK / 12 AK |
Special | MILIEU-KINO
NUMMERN-PROGRAMM-WANDERKINO


Die Blütezeit des europäischen Wanderkinos erstreckte sich über die Jahre 1896 bis 1914. Mangels ortsfester Kinogebäude war Film damals flüchtig und trat selten als abendfüllendes Kulturangebot, sondern häufig in anderen Unterhaltungskontexten in Erscheinung: zum Beispiel auf Jahrmärkten als Kurzfilmrolle aus märchenhaften Trickfilmen, lustigen Sketchen und Aktualitäten im Stile von Wochenschauen. An die Idee des Wanderkinos anknüpfend steht das Milieu-Kino am 10.09. – Tag des offenen Denkmals – am Fortuna, dem ehemaligen Kino der Jugend. Dort zeigen wir Raritäten aus der reichen Geschichte der Nummernprogramme: handkolorierte Animationsfilme, erotische Pikanterien, anarchistische Slapstick-Einlagen, Röntgenfilme und Raubtier-Verfolgungsjagden. Der Ein- und Ausstieg ins Programm ist zu jeder Zeit möglich. Das Team des Fortunas bietet zudem Führungen durch das Gebäude an und informiert über seine Bemühungen rund um den Erhalt des Gebäudes und die Etablierung eines stetigen Kulturbetriebs.
Do 7 Sept | MILIEU-KINO Fortuna (Kino der Jugend) |
| 14:00 -18:00 Uhr | € Eintritt gegen Spende |
GEGENkinderkino
UNTEN AM FLUSS
GB 1978, R: Martin Rosen, 92’, dt. Version, digital, freigegeben ab 6 Jahren



Nachdem der kleine Fever immer häufiger Visionen einer drohenden Katastrophe hat, machen sich einige der wilden Kaninchen unter der Leitung seines Bruders Hazel auf den Weg, um einen sicheren Ort für einen neuen Bau zu finden. Sie entkommen so dem tödlichen Rauch der Menschen und treffen auf ihrer Wanderung neue Freunde: die Möwe Kehaar und eine Gruppe Stallkaninchen, die sie aus der Gefangenschaft befreien. Zusammen gründen sie in der Nähe eines Flusses einen neuen Bau namens Watership Down. Doch in der Gegend wohnen die Kaninchen des Baus Efrafa, die unter der grausamen Herrschaft des General Woundwort leiden. Um nicht auch in der Diktatur von Efrafa leben zu müssen, entschließen sich die Kaninchen um den hellseherischen Fever, den schlauen Hazel und den mutigen Bigwig zum Widerstand gegen den General und seinen Bau. So schmieden sie einen gefährlichen Plan. Martin Rosens gleichnamige Zeichentrick-Verfilmung von Richard Adams‘ Kinderbuchklassikers WATERSHIP DOWN beeindruckt mit einer eigenen, fantastischen Mythologie und der atmosphärischen Geschichte rund um die Bedeutung von Freiheit und Zusammenhalt im Angesicht von Unrecht und Unterdrückung.
| So 10. Sept | UT Connewitz |
| 14:00 Uhr | € 2 |
Special | MILIEU-KINO
DU-BEAT-E-O
US 1984, R: Alan Sacks, D: Joan Jett, Ray Sharkey, El Duce, Texacala Jones, Derf Scratch, 84’, englische OV, 35mm



DU-BEAT-E-O ist ein wirres bis irres Dokument der L.A.-Punkszene der frühen 1980er Jahre, in dem Sacks sich das Fremdmaterial eines nie fertig gestellten Films vornimmt und eine Meta-Geschichte um einen dem Wahnsinn nahen Filmemacher arrangiert, dessen Obsession es ist, das „Opus“ fertig zu schneiden. Dabei machen es ihm unter anderem das bedrohliche Gehabe eines Mafiosos sowie die Splattereinlagen der Schock-Rocker The Mentors nicht leicht.
Sa 9 Sept | MILIEU-KINO Wagenplatz Karl Helga |
| 20:00 Uhr | € Eintritt gegen Spende |
Special | MILIEU-KINO
2551.02 — THE ORGY OF THE DAMNED
AT 2023, R: Norbert Pfaffenbichler, D: Stefan Erber, Veronika Harb, Jurij Föger, 82’, ohne Dialog, DCP




Die im Titel aufgerufenen Verdammten sind Tier-Mensch-Hybride, Schlechtweggekommene und deformierte Kannibalen-Freaks, die kein Tageslicht zu Gesicht bekommen und in einer sprachlosen und moralfreien Postapokalypse leben. Während diese ihre entfesselten Orgien in Bordellen, Darkrooms und Fightclubs feiern, begibt sich Protagonist und Anti-Held Affenmann auf die Suche nach einem ihm liebgewordenen Kind, das vom waltenden Terrorregime entführt wurde und in einem Bootcamp zum willenlosen Soldaten ausgebildet werden soll.
Mit 2551.02 – THE ORGY OF THE DAMNED legt Norbert Pfaffenbichler einen Road Trip der Abscheulichkeiten vor, der mit geringen finanziellen Mitteln, aber mit um so mehr Leidenschaft für eine einzigartige und in sich stimmige Ästhetik produziert wurde, in der optisch hochwertiger Trash, italienische Opernmusik und im Beat von Industrialtechno geschnittene Bilder zusammenkommen. Wer also glaubt, dass exzessive Gewalt, Bodyhorror und Slapstick, pervertierte Lust und tabuloser Humor sich nicht ausschließen, ist herzlich willkommen im Höllenkreis der mutierten Kotze. Ja genau: Die Kotze, die dir nach Verlassen des Gesichts mit einem halben Dutzend Augen zuzwinkert.
| Sa 9. Sept 22:00 Uhr | DEUTSCHLAND-PREMIERE UT Connewitz € 6,5 (5,5 ermäßigt) |
22:00 Uhr | MILIEU-KINO Karl-Helga Wagenplatz |