THOSE SHOCKING SHAKING DAYS (AT/BA, 2016, Selma Doborac)

This April marks the 15th anniversary of the escalation of the Bosnian War, pictures of which might still roam in some of yours heads. Now, the relation between cinema and war has always been a problematic and critical one and one raising seemingly endless questions. But only rarely were these questions really tackled in and through cinema itself. Austrian filmmaker Selma Doborac does just that in her most recent film THOSE SHOCKING SHAKING DAYS, which takes the Bosnian War as a starting point for her cinematic reflections, resulting in an essayistic film that is certainly not easy to watch and one that invokes to discuss. Therefore, we’re very happy to have the director Selma Doborac coming to the screening on 09 April, 7pm at Schaubühne Lindenfels for a Q&A and for talking with us about her film.

Read more about THOSE SHOCKING SHAKING DAYS below and over at sixpackfilm.com.


In Anwesenheit der Regisseurin Selma Doborac

THOSE SHOCKING SHAKING DAYS

AT/BA 2016, Dok, R: Selma Doborac, dts. OV, 88’, DCP

Thematisiert und gleichsam in Betracht gezogen wird das Scheitern, die Unsagbarkeit, nicht zuletzt auch die Überforderung. Die der Filmemacherin und die der Adressierten. Doch findet sich Selma Doborac in ihrem Essayfilm THOSE SHOCKING SHAKING DAYS damit nie ab. Lange und statisch ruhen die Bilder von verlassenen Häusern im quadratischen Format, ohne dass hier irgendetwas in Ruhe gelassen würde. Sprache überwuchert das Bild wie die Zweige, Sträucher und Gräser die ehemals bewohnten Gebäude. Die Text-Inserts zerfasern, zersetzen die uns dargebotenen, visuellen Informationen und schreiben sich ihrer Struktur ein wie die Pflanzen in die Fassade. Doch die in Form herausfordernder Fragen ausufernden Satzlandschaften überdecken dabei nicht, sondern legen frei: die Methode, die Komplexität, das Unbehagen, die Notwendigkeit. In dieser filmischen Annäherung an den Bosnienkrieg und an das Phänomen Krieg im Allgemeinen geht es unter anderem „um den Versuch eine verstümmelte Welt zu besingen“, wie es Doborac in Anlehnung an ein Gedicht von Adam Zagajewski selbst einmal beschreibt. Es ist eine Annäherung, die um die Grenzen von Verbild- und Versprachlichung weiß und trotzdem nicht drum herumredet. Die das schiere Konstatieren, den reinen Beobachter-Status leid ist und die stattdessen in viele Wunden Finger legt. Ein selbstreflexives, scharfsinniges Philosophieren, „ein Film mit blauen Flecken“ (Jean-Pierre Rehm). Dem Einzelschicksal verpflichtet. Dem Universellen verschrieben.

09. April, 19 Uhr – Schaubühne Lindenfels

THE ORNITHOLOGIST (PT/F/BRA, 2016, João Pedro Rodrigues)

Maybe you’ve seen some films by the likes of Pedro Costa or Miguel Gomes already, then it should be no big news for you anymore that contemporary Portuguese cinema is definitely something to keep on radar. Not unlike those two directors, João Pedro Rodrigues’ cinematic language is also quite unique and inventive and his way of storytelling beautifully weird. Reason enough for us to include his most recent work O ORNITÓLOGO (THE ORNITHOLOGIST) in our programme. You can already see the trailer below. The whole film will be screened on 11 April, 8pm at Luru Kino, including important travel safety tipps for your next birdwatching tour through the Portuguese countryside.


O ORNITÓLOGO / THE ORNITHOLOGIST

PT/F/BRA 2016, R: João Pedro Rodrigues, D: Paul Hamy, Xelo Cagiao, Han Wen, Chan Suan, OmeU, 118’, DCP

Fernando ist ein einzelgängerischer Ornithologe, der auf einem abgelegenen Fluss im Norden Portugals nach dem seltenen Schwarzstorch Ausschau hält, bis sein Kanu von der Strömung mitgerissen wird und kentert. Wieder bei Bewusstsein, befindet er sich in einem Wald, gerettet von zwei chinesischen Pilgerinnen auf ihrem Weg nach Santiago de Compostela. Aus Fernandos Weg zurück ins Leben wird eine surreale Reise nach Innen, in der sich die Geschichte zunehmend auflöst, sich Zeit- wie Raumschranken entledigt und einen sexuellen Mythos etabliert. Dabei muss niemand wissen, dass THE ORNITHOLOGIST Rodrigues’ autobiografische Zerlegung und unbekümmert freie, blasphemische Modernisierung des klerikalen Antonius von Padua-Geschichte ist, um den Film zu mögen. Im Gegenteil: die wechselhaften, wunderbar exzentrischen Episoden, die mysteriöse Dichte und doppelbödige Sinnlichkeit der Bilder fesseln von Anfang an. THE ORNITHOLOGIST ist ein losgelöstes Kino, das sich mit seinen Figuren in ständiger Verwandlung befindet, nur sich selbst unterworfen – ein Kino, das die Schwerkraft linearer Narrativität und festgefahrener Vorstellungen hinter sich lässt wie die Vögel die irdische Schwerkraft. Bei vielen anderen würde solch eine assoziative Fabulierlust den Film auseinanderfallen lassen, doch Rodrigues vermischt mit eindrucksvoller Kontrolle Motive, die scheinbar nicht zusammen passen. Er verleiht den Episoden eine eigensinnige Kohärenz, die einen bei der Stange hält – und die auch lässig dem Blick standhält, den die Vögel im Film immer mal wieder von oben herab zurück auf Fernando werfen.

11. April, 20 Uhr – Luru Kino in der Spinnerei

TARA (GER, 2016, Felicitas Sonvilla / FLUIDØ (GER, 2017, Shu Lea Cheang)

Now, for some more “science” fiction: On April 12 at Luru Kino we’ll have a gamy double screening featuring TARA, the new short film by young filmmaker Felicitas Sonvilla off of MOTEL director’s collective and the most recent work by Taiwanese new media artist Shu Lea Cheng: FLUIDØ—both of which you might’ve see at this year’s Berlinale… or might have not, and so here’s another opportunity. Check the trailers below (they’re worth it)!


TARA

D 2016, R: Felicitas Sonvilla, D: Sasha Davydova, Leo van Kann, Lena Lauzemis, OmdU, 30’, DCP

Erinnerung und Überwindung gehören zu den leitenden Motiven in TARA. Die in diesem Kurzfilm entworfene Gegenwart ist von Dunkelheit und Kälte gezeichnet. Bilder eines besseren Lebens findet Hauptfigur Mira nur noch in Erinnerungsfragmenten – jedenfalls bis sie von den Verheißungen des Ortes Tara hört. Diese weit im Osten liegende Gegend verspricht ein Leben, welches frei ist von den in den zentralen Regionen herrschenden Zwängen und sich lossagt von entfremdeten Verhältnissen, die das Dasein zu einem stummen Martyrium machen. TARA ist die neueste Arbeit des jungen Münchner Regiekollektivs MOTEL, welchem es hier gelingt, mit minimalen Mitteln ein erzählerisches und bildliches Szenario zu eröffnen, das in bestechender Weise an die großen Sci-Fi-Film Inspiratoren P. K. Dick, Stanislaw Lem oder die Strugatzki-Brüder erinnert.

12. April, 22 Uhr – Luru Kino in der Spinnerei


FLUIDØ

D 2017, R: Shu Lea Cheang, D: Candy Flip, Bishop Black, Kristina Marlen, William Morris, OmeU, 80’, DCP

2060. Wir befinden uns in einer Zukunft ohne Aids, in der ein neuartiges Rauschmittel grassiert. Die Droge wird aus sporadisch auftretenden HI-Virusmutationen gewonnen, ist durch Hautkontakt übertragbar und besitzt maximales Abhängigkeitspotential. Auch in dieser Zukunft sind Drogen noch illegal, Verfolgung durch die Geheimpolizei die Konsequenz. Zur gleichen Zeit an einem anderen Ort, ein ungewöhnliches Szenario: Männer im Jockstrap stehen verkabelt aneinandergereiht und müssen im Akkord Sperma produzieren, das zur Herstellung von Medikamenten für die Pharmaindustrie benötigt wird. Anhaltende Einstellungen wechseln mit dicht getakteten Aufnahmen, die bis hin zu temporären Strobo Effekten gesteigert werden und stellen damit Körper(sekrete) und deren potenzielle Wirkmacht in den Mittelpunkt. Bevor es FLUIDØ auf die Leinwand geschafft hat, machte sich das Zero Gen als Performance, Installation oder Fotoausstellung einen Namen. Ein dystopischer Science-Fiction-Porn, in dem die Grenzen zwischen den Geschlechtern sowie zwischen homo-, hetero-, bi-, trans- oder intersexuell kontinuierlich verschwimmen. „Fluidø is virus, sex, hack, drug & conspiracy.“ (Shu Lea Cheang)

12. April, 22 Uhr – Luru Kino in der Spinnerei

ESIOD 2015 (AT/GER 2016, Clemens von Wedemeyer) / WINWIN (AT, 2016, Daniel Hoesl)

…BUT!—let’s not forget about the endless possibilities of FICTION! On April 07 at Schaubühne Lindenfels we will see two contemporary cinematic statements showing how the fiction film can be a vehicle for revealing
political and economic relations and structures of society. The works shown are Clemens von Wedemeyer’s recent sci-fi parable ESIOD 2015 and Daniel Hoesl’s capitalist play WINWIN. We are more than happy to have director Daniel Hoesl as well as Stephanie Cumming, who’s starring in both of the films coming to the screening for a Q&A. April 07 also marks the day of the opening of our TRUE POLITICS exhibition at Schaubühne Lindenfels’ ballroom. More infos on that will soon follow.

07 April, 9pm – Schaubühne Lindenfels

€ 8 (6 red.) for a double ticket incl. ESIOD 2015


In Anwesenheit der Hauptdarstellerin Stephanie Cumming.

ESIOD 2015

AT/D 2016, R: Clemens von Wedemeyer, D: Stephanie Cumming, Sven Dolinski, engl. OF, 39’ DCP

Wien 2051. Esiod kommt nach Jahren zurück in die Stadt, um in einer Bank
ihr Konto aufzulösen. Auf diesem Konto sind nicht nur Gelddaten, sondern auch Erinnerungen und persönliche Informationen digital gespeichert. Esiod wird vom Computersystem nicht erkannt. Sie muss sich einem Memorycheck unterziehen, bei dem beobachtet wird, wie sie auf Daten, Videos und Bilder des Kontos reagiert. Die Identitätsüberprüfung ist streng und enthält unter anderem ein Bewegungsprotokoll, in dem bis ins Detail die motorischen Muster eines Menschen als dessen Erkennungszeichen geführt werden. Drehort von ESIOD 2015 ist der halb gebaute „Erste Campus“ der österreichischen Sparkasse Erste Bank in Wien, einem Bauprojekt, dessen Gebäudeteile wie Überreste eines postapokalyptisch menschenverlassenen Areals wirken. Auf der Folie dystopischer Science-Fiction projiziert Regisseur Clemens von Wedemeyer die gegenwärtigen Finanzkrisen und die in der Architektur angelegte Virtualisierung von Arbeit, Leben und Kapital in eine nicht allzu ferne Zukunft. Seine  Protagonistin verliert sich zusehends in den Grenzbereichen zwischen realem und virtuellem Raum, und auch der Film selbst löst sich immer  weiter auf, wird transparent, zur Pixelcloud.


In Anwesenheit des Regisseurs Daniel Hoesl und Darstellerin Stephanie
Cumming

WINWIN

AT 2016, R: Daniel Hoesl, D: Christoph Dostal, Stephanie Cumming, Jeff
Ricketts, Nahoko Fort-Nishigami, OmeU, 84’, DCP

WINWIN, das sind vier smarte Investor*innen, eine Gruppe kosmopolitischer Wanderprediger*innen, die in einer Welt jenseits von Risiko umher jetten. Immer wenn sie wieder festen Boden unter den Füßen haben, führen sie Unternehmen in eine noch bessere Zukunft. Da wird vernetzt, herausgefordert, gegessen, sich gedehnt, expandiert, gesund geschrumpft. Ihre Kleidung sitzt ausgezeichnet, alles, was sie sagen ist wohlig intoniert. Sie sprechen uns von der Leinwand direkt an, ihre Worte stehen entrückt im Raum, sind nicht an irgendeine Realität gerichtet und betreffen doch alle. Die Filmdialoge allerdings fußen in der Realität, basieren sie unter anderem auf persönlichen Treffen mit Investoren, Managern und anderen superreichen Menschen. WINWIN ist eine ästhetisch konsequente, doppelbödige Reflexion über Mechanismen des postmodernen, globalen Finanzkapitalismus – der bissige Humor des Films beginnt dort, wo der Spaß aufhört. Direkt aus dem Paralleluniversum der Macht, wirken die Bilder wie ein absurder Traum, ein poppiger Bilderreigen aus einer meist geräuscharmen Oberflächenwelt. Regisseur Daniel Hoesl, der „Bertolt Brecht der Techno-Generation“ (Wroclaw International Film Festival) und sein Produktionskollektiv European Film Conspiracy formulieren einen scharfen Kommentar auf eine Welt, indem sie die eigenen Waffen eben dieser Welt auf sie selbst richten. Alles ist aufwendig choreografiert, digital und streng durchdacht, alles ist clean, höflich und irgendwie auch abstoßend. Es ist eine Welt, in der alle Liebe predigen und Geld ernten.

TA’ANG (HK/F 2016, Wang Bing)

As you might have figured already, we have a strong focus on the documentary format and its cinematic potentials at this year’s GEGENkino. Hence, on April 10 at UT Connewitz we take the opportunity to show the film “Ta’ang”—a new documentary by the often-heard-of, but probably only seldomly received Chinese director Wang Bing. With “only” 2 hours and 20 minutes this film is one of the shorter works by Wang Bing—a filmmaker famous for films like like the documentary “Crude Oil”, clocking in at 14 hours of length. “Ta’ang” is a very engaged study of one specific ethnic minority—the Ta’ang—and of displacement and existential  migration in general—a topic which we’re dealing with in several section of our 2017 programme.


TA’ANG

HK/F 2016, Dok, R: Wang Bing, OmeU, 142’, DCP

Ob als neunstündige Langzeitstudie über die Verarmung Hunderttausender Arbeiter*innen und den politisch gewollten Zerfall ganzer Industrieregionen oder als Porträt dreier Schwestern, die auf Grund ökonomischer Zwänge von ihren Eltern auf sich allein  gestellt zurückgelassen wurden. Wang Bings Filme zeigen  zerfallende chinesische Lebenswelten abseits des galoppierenden Wirtschaftswachstums. Das neue Werk des chinesischen Dokumentarfilmers ist gewohnt radikal im reduzierten Einsatz seiner Mittel und entfaltet dabei eine ästhetische und emotionale Sogkraft, die weit über die distanzierte Abbildungsfunktion hinausgeht. In TA’ANG richtet Wang seinen Blick auf die gleichnamige ethnische Minderheit (auch als Paluang bekannt) in Myanmar, die seit Jahrzehnten Leidtragende des burmesischen Bürgerkriegs ist. 2015 flammte die Gewalt in der Region wieder auf und löste einen Exodus der Ta’ang nach China aus. An die 100 000 Geflüchtete, vornehmlich Frauen, Alte und Kinder, leben heute in der Provinz Yunnan quasi-nomadisch in unsteten Camps, in der Hoffnung auf eine baldige Rückkehr. Der Film beginnt dabei scheinbar planlos, in unbekannter Umgebung nach Orientierung suchend, entwickelt aber eine präzise Abfolge von Bewegungen und spannt den Bogen vom  mikroskopischen Blick auf die betroffenen Menschen – die Suche nach einer Bleibe, das Feuermachen und Kochen, die Unterhaltungen, das Abschätzen der Entfernung vom Krieg durch die Lautstärke der Explosionen – bis hin zu den humanitären Zusammenhängen des Krieges.

10. April, 20 Uhr – UT Connewitz