Programmübersicht | BAD GIRLS GO TO HEAVEN
Retrospektive | BAD GIRLS GO TO HEAVEN













BAD GIRLS GO TO HEAVEN
Das US-amerikanische Exploitationkino von Roberta Findlay, Doris Wishman und Stephanie Rothman
Das Genrekino der letzten gut 120 Jahre ist eine Männerdomäne. Speziell Action-, Horror- und Erotikstreifen sind erst in den letzten Dekaden mehr und mehr aus weiblicher Perspektive erzählt und transformiert worden – man denke an das kinetische Blockbusterkino Kathryn Bigelows, den liebevoll ausstaffierten Neo-Exploitation-Pastiche von Anna Biller oder an die radikalfeministischen Erotizismen Catherine Breillats.
In der überbordenden US-amerikanischen Genrefilmindustrie gab es jedoch ab den 1960er Jahren bereits mehrere Filmemacherinnen, die sich dezidiert dem eskalationsfreudigen Genrekino exploitativer Provenienz widmeten und mittlerweile eine breite Fangemeinde aufweisen. Drei von ihnen möchte BAD GIRLS GO TO HEAVEN vorstellen: Roberta Findlay (*1943), Doris Wishman (1912-2002) sowie Stephanie Rothman (*1936).
Die Filmgeschichtsschreibung steht noch am Anfang, die Arbeiten dieser drei Filmemacherinnen zu würdigen. Das GEGENkino, das die Gegenwart stets mithilfe des Blicks ins Vergangene verstehen will, stellt euch im Sinne dieser einsetzenden Neubewertung eine Auswahl von sechs Filmen vor, die zeigen, dass Genrekino nicht gleich Genrekino und weibliche Perspektive nicht gleich weibliche Perspektive ist. Zugleich spannen wir einen weiten Bogen: von sonnendurchfluteten Sexkomödien über Gefängnisfilmreißer und Home-Invasion-Roughness bis hin zu einer absoluten „Kernkompetenz“ des Grindhouse-Cinema entlang der New Yorker 42nd Street: den Traum- und Albtraumwelten nackter Körper.
Gemeinsam ist allen dreien die unbedingt kommerzielle Ausrichtung ihrer Œuvres bei gleichzeitigem Bestreben, sich eine eigene Handschrift innerhalb der Industrie zu bewahren. Die Budgets von Findlay, Wishman und Rothman unterscheiden sich dabei teils merklich: Doris Wishman, die große Self-Made-Filmemacherin unter den präsentierten Exploitationfilmerinnen, drehte oft mit Mikrobudgets, ohne Primärton und – besonders aufregend bis bizarr – ohne vorab festgelegte Stories: Ein Kino der Gesten und Zuspitzungen, opulenter Atmosphären und der unbedingten Hingabe an seine Heldinnen. Hierfür steht in unserer Schau ihr bekanntester, weil für das feministisch gewendete Sexploitationgenre so einflussreiche Film BAD GIRLS GO TO HELL (US 1965), aber auch die Pulp Fiction des Agentenfilm-Sleaze von DOUBLE AGENT 73 (US 1974).
Im Rahmen prekärer B-Movie-Produktionskontexte finanziell besser gestellt waren die Filme von Findlay und Rothman. Rothman, die einzige ausgebildete Filmemacherin des vorgestellten Trios (sie ging durch die Genreschmiede des kürzlich verstorbenen Roger Corman!), besetzte in ihren sensiblen Ensemblefilmen ab den späten 1960er Jahren bewusst männlich dominierte und mit Sexismen durchsetzte Genres wie die libertäre Sexkomödie THE WORKING GIRLS (US 1974) oder den muskelbepackten Gefängnisfilm-Actioner TERMINAL ISLAND (US 1973). Ähnlich ist auch Findlays Filmkosmos gelagert: A WOMAN’S TORMENT (US 1977) erzählt in extremen Bildern – Hardcorepornografie trifft auf Horrormotive! – von toxischen Geschlechterverhältnissen und weiblicher Selbstermächtigung. TENEMENT (US 1985), der jüngste Film unserer kleinen Auswahl, ist bei aller Härte seines „postapokalyptischen“ Settings doch in dem Sinne ein utopisch-hoffnungsvoller Film, als dass dort in einer Hausgemeinschaft die Gegensätze von Geschlecht, Klasse und Ethnie angesichts äußerer Bedrohung kurzzeitig überwunden scheinen.
Die skizzierten Motivwelten deuten es vielleicht bereits an: Das Exploitationkino ist ein Kino der Ambivalenz. Denn das, auf was es kritisch aufmerksam macht, wird zugleich – und nicht selten schamlos – in filmischen Schauwert „umgemünzt“. Dass ein solches Kino kalkulierter Zumutungen, auch wenn nicht immer „wertvoll“, seinen festen Platz in der Filmgeschichte haben sollte: dafür steht diese Reihe. Nicht zuletzt haben Findlay, Wishman und Rothman Anteil an einem alternativen Kino der USA. In ihm verbindet sich nicht selten weiblicher Blick und Gegenwartsdiagnose mit genüsslichen Bürgerschreck-Vibes: Ein trotziges „Bad Girls go to Heaven“, in Abwandlung eines Filmtitels unserer Reihe.
06.09.24 UT Connewitz | |
20:00 Uhr | TENEMENT US 1985, R: Roberta Findlay, D: Enrique Sandino, Joe Lynn, Martha De La Cruz, 94’, engl. OV, DCP Mit einer Einführung zur Reihe von Tilman Schumacher (GEGENkino) |
22:00 Uhr | BAD GIRLS GO TO HELL US 1965, R: Doris Wishman, D: Gigi Darlene, Charles E. Mazin, Sam Stewart, 65’, engl. OV, DCP |
10.09.24 Luru Kino | |
19:00 Uhr | A WOMAN’S TORMENT US 1977, R: Roberta Findlay, D: Tara Chung, Jennifer Jordan, Jake Teague, 84’, engl. OV, DCP Mit einem Videointerview zwischen André Malberg (Filmsammler und -historiker) & Roberta Findlay |
21:00 Uhr | THE WORKING GIRLS US 1974, R: Stephanie Rothman, D: Sarah Kennedy, Laurie Rose, Cassandra Peterson, 80’, engl. OV, DCP |
14.09.24 Luru Kino | |
20:00 Uhr | TERMINAL ISLAND US 1973, R: Stephanie Rothman, D: Ena Hartman, Barbara Leigh, Tom Selleck, 88’, engl. OV, 35mm Mit einer Einführung zum Filmdoppel des Abends von Silvia Szymanski (Autorin und Filmkritikerin) |
22:00 Uhr | DOUBLE AGENT 73 US 1974, R: Doris Wishman, D: Chesty Morgan, Frank Silvano, Saul Meth, 73’, DF, 35mm |