Als progressive Vertreterinnen des Undergroundfilms der 60er und 70er Jahre vollziehen Wilhelm und Birgit Hein eine radikale Abkehr vom Erzählkino. Anti-illusionistisch und nicht-unterhaltend sind ihre Materialfilme, von denen wir eine Auswahl sehen. Die physische Präsenz des analogen Filmstreifens und die technischen Voraussetzungen seiner Vorführung, die ansonsten im Verborgenen verbleiben (die zum Abspiel benötigten Perforationen etwa, die Tonspur oder der bei der Vorbereitung entstandene Ausschuss) bilden in W+B Heins Arbeiten wiederkehrende Elemente genauso wie Zurichtungen des Zelluloids. Fragmente und Überbleibsel üblicherweise nicht sichtbarer Start- und Endbänder von 35mm-Kopien, deren Zerkratzungen und einzelne Bildkader unbeachtende Neuanordnungen bilden den Bestandteil von „Materialfilme“. „625“ besteht aus mit wechselnden Unschärfen vom TV abgefilmten und negativ reproduzierten, körnigen Rastern, die sich auf 625 Zeilen verteilen.
I T O E , Andrea Belfi und Flying Moon in Space, die auf je eigene Weise an der Schnittstelle von Ambient, Kraut und Psychedelia arbeiten, werden je einen Materialfilm live und exklusiv vertonen. Der Sechser Flying Moon in Space klingt, als käme er from Outta-Space. Mit viel Effektrückenwind erzeugen sie groovenden, harmonischen Progrock und gelegentlich harte, eruptive Jam-Passagen. Solo-Schlagzeuger Andrea Belfi bespielt gleichzeitig ein spartanisches Drum-Set und verschiedene elektronische Tonerzeuger und lässt so seine ein reiches Klangspektrum generierenden Spieltechniken mit den Texturen der Synthesizer verschmelzen. Freiheit in der Struktur und Synthies auch bei I T O E, die ihre Klangradikale zusätzlich mit Gitarrenschleifen und gelegentlichen Saxophonspuren anreichern und in hypnotischen Repetitionen aufgehen lassen.
In SECRETSHOW arbeitet der italienische Musiker und Medienkünstler Andrea Marinelli mit den nahezu vergessenen ästhetischen Potenzialen von Overheadprojektoren. Im Zusammenspiel mit elektronischen Klanglandschaften improvisiert er jedes Mal aufs Neue eine einzigartige Erfahrung aus Licht und Sound. Die audiovisuelle Performance nutzt die Besonderheiten städtischer oder musealer Orte, die Farben und Texturen der Wände, die Verwinkelungen von Räumen. Fotografien von Gesichtern, Masken und Statuen überlagern einander, Schatten interferieren und verschwinden, die sonst so definierte Kadrage des Bildes unterliegt einer konstanten Veränderung. Gealterte Filmstreifen spielen mit der Aura des Ikonischen, während Tonaufnahmen von verschiedenen Sprachen und Dialekten multiple Bedeutungsfelder eröffnen, Geheimnisse lüften und wieder verschlüsseln. Die u.a. schon auf internationalen Festivals wie dem IFF Locarno gezeigte Show variiert der Mailänder Künstler auch für kleine, familiäre Settings wie etwa private Partys. Für das GEGENkino wird er im Rahmen einer Deutschlandpremiere einen Abend für die akustischen und architektonischen Charakteristika des UT Connewitz gestalten.
Sa 13. April 2019 UT Connewitz | LIVE SCORE |
21 Uhr | Andrea Belfi, I T O E & Flying Moon In Space vertonen Materialfilme (BRD W+B Hein): Materialfilme (1976 , 35′, 35mm), 625 (1969, 34′, digital), Reproductions (1968, 28′, digital) vorab:Andrea Marinelli: SECRETSHOW |
T I C K E T S gibt es bei culton im Peterssteinweg 9 und online über tixforgigs.com
FI 2010, R: Maria Lindberg, 75′, deutsche Fassung, Blu-ray
Das Barometer fällt. Grauer Staub liegt auf den Blättern. Der Himmel färbt sich rot. Erst verlassen die Hatifnatten das Mumintal, dann weitere Bewohner. Jetzt ist es klar zu erkennen: Ein Komet steht am Himmel! Muminpapa, Mumin und seine Freunde das Schnüferl und der Schnupferich machen sich auf das Geheimnis des fliegenden Feuerballs zu ergründen. Sie bauen ein Floß und fahren damit zur Sternwarte in die Berge, von wo aus sie eine bessere Sicht auf den Himmel haben. Dort wohnt auch der Professor, dessen Berechnungen ergeben, dass der Komet in vier Tagen, vier Stunden und 44 Sekunden auf die Erde treffen wird. Mumin und seine Freunde beschließen, zurück ins Mumintal zu gehen, um alle zu warnen. Auf ihrem Weg treffen sie Snork und das Snork-Fräulein und werden Freunde. Aber da ist immer noch dieser verflixte Komet…
In liebevollen Puppenanimationen erzählt DIE MUMINS – AUF KOMETENJAGD ein Abenteuer für kleine und große GEGENkinder, über eine sich verändernde Umwelt und den Mut zu handeln. Mit dem Kometenlied von Björk und jeder Menge unerwarteter Ereignisse.
14. April, 14 Uhr – UT Connewitz – € 2
freigegeben ab 0 Jahren
CHN 2018, Regie: BI Gan, Schnitt: QIN Yanan, Kamera: YAO Hung-I, DONG Jinsong, David CHIZALLET, Darsteller: TANG Wei, HUANG Jue, SYLVIA Chang L, LEE Hong-Chi, DCP, 140′
LONG DAY’S JOURNEY INTO NIGHT ist der zweite Langfilm des chinesischen Regisseurs Bi Gan. Im Gewand eines Neo-Noirs erzählt der Film von der Rückkehr eines Mannes in seine Heimatstadt und der dortigen Suche nach einer Frau, die er einst liebte. Auf mehreren Ebenen umgibt ihn Vergangenes, das ihn nicht loslässt. Er durchschreitet Räume von damals, geht Spuren nach, findet Anhaltspunkte. Dennoch bleibt die Annäherung ein reizvoller Schein. Geschichten und Bilder driften mehr und mehr ins Traumhafte ab, vermischen sich mit Rückblenden stilisierter Erinnerungen vergangener Liebe: Gegenwärtiges und Unbewusstes sind nicht mehr zu unterscheiden. Doch dann nehmen die Dinge einen unvorhergesehenen Verlauf: Die Hauptfigur Luo setzt sich in ein schummriges Kino, der Film beginnt, er setzt eine 3D-Brille auf. Gezeigt wird „Long Day’s Journey into Night“. Den Wechsel in die dritte Dimension vollziehen zeitgleich auch die Zuschauenden mit: die letzte Szene ist eine 70 Minuten lange Einstellung ohne Schnitt. Die elegante Kamera folgt Lou unter die Erde, einen Berg hinauf, eine Seilbahn hinab. Ein Zauber lässt uns mit ihm abheben und in einem unwirklichen Ort sanft wieder aufsetzen. Dort folgen wir Bewegungen durch Gassen und Häuser, um schließlich in einem sich drehenden Raum zu landen.
14. April, 21:30 Uhr – Luru Kino in der Spinnerei – € 7,5 (6,5 erm.)
Trailer
„Jeder Film wie auch jede Photographie sind ein Lichtabdruck (daher photos und graphein) dessen, was sich vor dem Objekt im Augenblick der Aufnahme auf das Negativmaterial in der Kamera befunden hat. Aber sie sind auch die Darstellung des Blicks darauf: wie gesehen wurde, was sich vor der Kamera befand. Die Einstellungen kommen von den Dingen, die sichtbar sind, und sie kommen von den Bildern, die sichtbar machen. Dies sind zwei verschiedene Sachen.“ – aus: Verlorene Form, 2008
Hartmut Bitomsky (*1942 in Bremen) realisierte in einem Zeitraum von über vierzig Jahren eine Vielzahl zumeist essayistischer Dokumentarfilme, gehörte 1972 bis 1984 der Redaktion und Kooperative der bedeutenden Filmzeitschrift Filmkritik an, publizierte unter anderem mit „Die Röte des Rots des Technicolor“ (1972) und „Kinowahrheit“ (2003) filmtheoretische Schriften, dozierte an der School of Film and Video des California Institutes of the Arts, leitete schließlich 2006 bis 2009 die Berliner Filmhochschule dffb – und ist dennoch einem interessierten Publikum bislang wenig geläufig.
Im Anschluss an die frühen Arbeiten innerhalb des Filmstudiums – Brechtsches Lehrstück und Marxsche Theorie haben hier Einfluss – reflektieren die dokumentarischen Beiträge der 70er-Jahre primär filmhistorische und -ästhetische Themen, wie etwa das frühe Kino oder das Werk John Fords. Parallel dazu entstehen erste Texte für die besagte Filmkritik; Geschriebenes und Gefilmtes bedingen sich ab hier wechselseitig und werden in den folgenden Jahrzehnten zu einem Sinnkomplex.
In unserem Einblick fokussieren wir uns auf Filme der 1980er-Jahre, die zum Teil der WDR mitproduzierte. Sie stehen verdichtet für Bitomskys kritisch-analytische Bildbetrachtungen aus vielfältigen Quellen der (Kino-)Geschichte. Dokumentar- und Spielfilm interessieren hier gleichermaßen, denn beide dramatisieren und lenken ihre Stoffe. Wie die Dinge ins Bild gerückt werden, was sich also für Blicke und Ideen konstituieren, ob diese Bildproduktionen dadurch der Wahrheit näher kommen, oder sie doch vielmehr verdecken, ist das Thema des skeptischen Dialogs mit ihnen. „Ich glaube, ein Dokumentarfilm sollte nicht die Realität enthüllen, er muss die Realität artikulieren, gliedern.“ Diese Überlegung steht paradigmatisch für eine Methode, die durch das Arrangieren von vorgefundenem Material Sichtbares ab- und neu vermisst, ja mitunter erst Phänomene sichtbar werden lässt – ohne jedoch ästhetische Eigenwertigkeiten des Materials zu übergehen. Montage und pointierter, oft sachlich-lakonischer Voice-Over weisen dabei neue Blickwinkel.
Der erste Tag der Schau widmet sich mit DEUTSCHLANDBILDER (BRD 1984) und REICHSAUTOBAHN (BRD 1986) essayistischen Archivfilm-Kompilationen. Die nationalsozialistische Ästhetik, vor allem im dokumentarischen „Kulturfilm“-Genre, wird einer Art Bild-Aufklärung unterzogen. Die Zusammenschau verdeutlicht auch, wie Bitomskys Arbeit durch filmübergreifende Überlegungen und Verweise geprägt ist. Ramón Reichert, Filmwissenschaftler und Kulturfilm-Experte, wird in einer Einführung Bitomskys Methode künstlerischer Archivmaterial-Bearbeitung nachgehen und mit anderen Ansätzen dieser Art ins Verhältnis setzen.
Der folgende Thementag kompiliert mit DAS KINO UND DER WIND UND DIE PHOTOGRAPHIE (D 1991) und DAS KINO UND DER TOD (BRD 1988) Werke, die primär um die Reflexion der Kino- und Filmgeschichte kreisen und hier narrative und mediale Eigenarten behandeln, wie das Verhältnis Spielfilm zu Todes-Motivik und Dokumentarfilm zu Wirklichkeit. Gleichzeitig stellen sie den Arbeits- und Denkprozess Bitomskys aus, wenn er sich im Dialog mit seinen im Film behandelten Referenzwerken inszeniert. Frederik Lang, Filmwissenschaftler und freier Autor, wird zum Filmkritik-Zusammenhang und Bitomskys Filmkritik und -analyse mit den Mitteln der Kinematografie referieren. Ergänzt wird dies um das Filmkritik-Gemeinschaftsprojekt „L’ARGENT“ VON BRESSON (BRD 1983).
Mo 15.4 Luru Kino | |
19 Uhr | Einführung von Ramón Reichert Deutschlandbilder BRD 1982/83, R: Hartmut Bitomsky, Heiner Mühlenbrock, Dok, 60’, dOV, 35mm |
21 Uhr | Reichsautobahn BRD 1984-86, R: Hartmut Bitomsky, Dok, 91’, OmeU, 35mm |
Mi 17.4 Luru Kino | |
19 Uhr | Einführung von Frederik Lang „L’Argent“ von Bresson BRD 1983, R: Hartmut Bitomsky, Manfred Blank, Harun Farocki, 30’, dOV, File Das Kino und der Tod BRD 1988, R: Hartmut Bitomsky, 46’, dOV, Betacam SP |
21 Uhr | Das Kino und der Wind und die Photographie D 1991, R: Hartmut Bitomsky, 56’, dOV, DigiBeta Spare Time UK 1939, R: Humphrey Jennings, 15’, englische OV, 16mm |
BRD 1982/83, R: Hartmut Bitomsky, Heiner Mühlenbrock, Dok, 60′, dOV, 35mm
Es beginnt mit einer Montage aus Schwarzweißszenen, die uns allerlei sportliche Aktivitäten, formale Attraktionen und Beschwingtes aus dem Alltagsleben präsentiert. Unter ihnen auch Bilder eines Hakenkreuz-Konfettiregens und erste Uniformen; eine Flut an „Deutschlandbildern“. Anschließend stellt das Voice-Over zu einer Kamerafahrt entlang ausgebreiteter Filmfotos nüchtern fest: „Die Nazis wollten Deutschland ein Gesicht geben, das ihnen gefiel. Sie waren ausgesprochen schönheitsbedürftig. Sie schätzten Filme, die deutsche Kultur darstellten – Kulturfilme.“ Von ihnen handelt dieser essayistische Kompilationsfilm aus Archivmaterial.
Das Konstruktionsprinzip erscheint simpel: Tafeln markieren in chronologischer Reihenfolge die Entstehungszeit der kommentierten NS-Kulturfilmausschnitte von 1933 bis 1945; dazwischen sind ab und an inszenatorisch abweichende Szenen geschaltet, in denen fotografische Reproduktionen, von einem Voice-Over begleitet, durchgeblättert oder von der Kamera abgeschritten werden. Die Frage jedoch, die den Film maßgeblich anleitet, ist eine komplizierte, nicht abschließend zu klärende: Was sagen uns diese Bilder heute, wie aus der Gegenwart heraus über sie sprechen? Es hat keinen Bildersturz gegeben: Sie sind verfügbar und sollen gängigerweise beweisen, wie der Faschismus gewesen ist, doch sind sie selbst eine immense Scheinproduktion. Diese Pseudo-Realitäten verdecken mehr als sie zeigen, entlarven jedoch. Am Ende heißt es: „Ein Bild ist die Maske des anderen.“
Mit einer Einführung von Ramón Reichert
15. April, 19 Uhr – Luru Kino in der Spinnerei – € 6,5 (5,5 erm.)
[Arbeit am Bild | Einblicke in das Werk von Hartmut Bitomsky]