BRD 1977, R: Helga Reidemeister, Eduard Gernart, in Zusammenarbeit mit Familie Bruder, Dok, 84′, OmeU, DCP
Irene und Günter Bruder leben mit vier Kindern im Märkischen Viertel im Norden Berlins, einem Neubaubezirk mit 17.000 Wohneinheiten errichtet für bis zu 50.000 Menschen. Die Familienmitglieder zeigen ihren Alltag: wie sie wohnen, ihren Haushalt führen und zum Teil zwanghaft sauber halten, kochen, arbeiten gehen. Sie tragen zahlreiche Konflikte vor der Kamera aus, schreien sich an und reden mit Reidemeister über Schwierigkeiten und Ängste, etwa vor der Weitergabe des sozialen Status an die nächste Generation. Das fünfte und älteste Kind Michael, vor Jahren in die Obhut einer Erziehungsanstaltshölle gegeben, kommt ebenfalls zu Wort.
Die Bruders, die Reidemeister im Rahmen ihrer Stadtteil- und Sozialarbeit kennen lernte, waren aktiv an der Mitgestaltung des Films beteiligt. Einige Ausschnitte des Super 8-Materials, das sie seit Ende der 60er Jahren gedreht haben, sind im Film enthalten. Irene Bruder: „Für uns war wichtig, nicht einen Film zu drehen, der die Schokoladenseite einer Familie zeigt, sondern wie kleine, scheinbar banale Situationen im Alltag eines Arbeiters die Familie, Wünsche und Hoffnung zermürben. Für uns war nicht nur wichtig uns darzustellen, sondern durch uns auch anderen ihre Lage zu zeigen und sich nicht entmutigen zu lassen.“
Do 15 Sept | Luru Kino in der Spinnerei |
21:00 Uhr | Mit einer Einführung von Madeleine Bernstorff regulär: 6,5€ / reduziert 5,5€ Doppelticket mit ES STIRBT ALLERDINGS EIN JEDER…. (HOLGER MEINS) & FILMTAGEBÜCHER 1975 – 1985 € 11 / 9€ erm. |
Es beginnt mit einer stummen Montage von Fotografien eines (noch) nicht benannten Mannes, eine schwarzweiße Chronik seines Lebens vom Kleinkind- bis ins Erwachsenenalter. Im Anschluss an diesen Prolog interviewt Renate Sami bei ihrer ersten Regiearbeit ES STIRBT ALLERDINGS EIN JEDER… Weggefährt:innen von Holger Meins (1941-1974), die zusammen mit ihm an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) studiert und gearbeitet haben. Die Erzählungen seiner Kommiliton:innen – unter ihnen Ulrike Edschmid, Hartmut Bitomsky und Harun Farocki – setzen dabei Stück für Stück das Bild eines Mannes zusammen, der versuchte, ästhetische und politische Anliegen radikal zu verbinden, und letztlich keine Möglichkeit mehr sah, seine politischen Ziele mit den Mitteln des Films zu erreichen.
Do 15 Sept | Luru Kino in der Spinnerei |
19:00 Uhr | regulär: 6,5€ / reduziert 5,5€ Doppelticket mit DER GEKAUFTE TRAUM € 11 / 9€ erm. |
ES STIRBT ALLERDINGS EIN JEDER, FRAGT SICH NUR WIE UND WIE DU GELEBT HAST (HOLGER MEINS)
BRD 1976, R: Renate Sami, 51′, OV, 16mm
FILMTAGEBÜCHER 1975-1985 (STREIFZÜGE)
DE 2005, R: Renate Sami, 32′, OV, MiniDV
„Mehrere Porträts von Freunden, Frauen und Männern, der Polnische Markt am Potsdamer Platz, die Mauer, ein Picknick im Park, unterwegs in Italien, Turin im Winter, ein Gedicht von Cesare Pavese.“ So fasst Renate Sami ihre intime, auf Super8 gedrehte Studie FILMTAGEBÜCHER 1975-1985 zusammen, die wie der Beginn ihres Holger-Meins-Films still bleibt, nur hie und da von kurzen Musikstücken unterstützt wird.
DE 1992, R: Johann Feindt & Tamara Trampe, Dok, 95′, OmeU, DCP
„Den schwarzen Kasten eines Menschen aufzubrechen“, so formuliert Jochen Girke eine seiner ehemaligen Aufgaben als Psychologe bei der Staatssicherheit der DDR. Die Black Box als kybernetischen Modell bedeutet, dass alles, was untersucht wird, als ein System betrachtet wird. Der schwarze Kasten besitzt einen Eingang, in den Informationen kommen und verarbeitet werden, um das Verhalten auf Basis der Informationen an die Umwelten anzupassen – jedoch bleibt die Box an sich undurchsichtig. Wir sehen nur, was herauskommt. Ihr Innenleben bleibt im Dunkeln. In dem filmischen Psychogramm DER SCHWARZE KASTEN unternimmt Tamara Trampe zusammen mit Johann Feindt Versuche zu Jochen Girke vorzudringen. Den Bildausschnitt eng gewählt, sitzen wir dicht an dicht mit ihm, ihr und unbequemen Fragen in einem angespannten Raum – ein Abtasten.
Wir hören auch Stimmen aus Girkes persönlichem Umfeld, lernen seine Mutter, seine Ehefrau und weitere Personen kennen. Beim Sprechen-Über muss Trampe immer wieder durch Girkes verbeamtete Sprache hindurchbrechen. Die Regisseurin möchte es wissen: Wie bist du zu der Person geworden, die jetzt vor mir sitzt? Aus persönlichen Fragen leiten sich gesellschaftliche ab. Wie geht das, wie wird die Gewissensinstanz einer ganzen Gesellschaft zerstört? Eine Abbildung des Nicht-Aufgeben-Wollens, des Weiter-Nachfragens. Und womöglich des Scheiterns daran? DER SCHWARZE KASTEN ist einer der ersten Dokumentarfilme aus der Zeit nach der DDR, der sich der Thematik der Aufarbeitung zuwendet.
Mi 14 Sept | UT Connewitz |
21:00 Uhr | regulär: 6,5€ / reduziert 5,5€ Doppelticket mit GOTTESZELL – EIN FRAUENGEFÄNGNIS € 11 / 9 erm. |
DE 2001, R: Helga Reidemeister, Dok, 104′, OmeU, 35mm
Innenansichten eines ansonsten verschlossenen Ortes. „Gotteszell“ in Baden-Württemberg
ist der Mikrokosmos, an dessen Beispiel Helga Reidemeister eine Untersuchung der Institution „Frauengefängnis“ vornimmt, dabei Fragen nach Schuld, Strafe sowie Sühne nachgeht und nicht zuletzt vor allem die Strafgefangenen selbst zu Wort kommen lässt.
Der Film gelangt von der Darstellung der Haftbedingungen zur Auseinandersetzung mit dem deutschen Rechtssystem und dem justiziellen Umgang mit Frauen, die zu Täterinnen geworden sind. Sechs von ihnen erzählen von ihrem Leben vor der Inhaftierung und von Problemen wie der Trennung von ihren Kindern. Neben denen, gegen die relativ kurze Haftstrafen verhängt wurden – meist wegen Drogendelikten – äußern sich auch jene Gefangenen, die wegen Mordes und Totschlags zum Teil lebenslänglich einsitzen. Viele von ihnen haben sexuellen Missbrauch, körperliche Gewalt und Demütigungen erlitten, bevor sie selbst gewalttätig wurden. Marion etwa erschlug ihren sexuell übergriffigen Arbeitgeber. Die Hilflosigkeit angesichts der Komplexität der Schuldfrage liegt im Verlaufe des Films auf beiden Seiten der Gitter offen zu Tage. Eine der Vollzugsbeamtinnen: „Den einzigen Vorwurf, den man ihnen machen kann, ist vielleicht, dass sie zu lange geduldig waren, ertragen haben.“
Mi 14 Sept | UT Connewitz |
19:00 Uhr | Mit einer Einführung von Bert Rebhandl regulär: 6,5€ / reduziert 5,5€ Doppelticket mit DER SCHWARZE KASTEN € 11 / 9 erm. |
t.
DE/FR 2005, R: Johann Feindt & Tamara Trampe, Dok, 92′, OV mit dt. Voice-Over, Digi Beta
Wie kommen Soldaten aus dem Krieg zurück? Das ist die eine Frage, die den Dokumentarfilm WEISSE RABEN, der Anfang der 2000er entstand, begleitet. Wir lernen junge Männer kennen, die die Regisseur:innen Tamara Trampe und Johann Feindt als Täter wie Opfer des Krieges in Tschetschenien zeigen: gebrochene Rückkehrer, aber auch betroffene Eltern, die ihre vermissten Söhne suchen und überarbeitete Angestellte im Moskauer Büro des Komitees der Soldatenmütter Russlands. Trampe synchronisiert die Stimmen der Protagonist:innen. Sie gibt ihnen ihre eigene Stimme und rückt damit nahe an sie heran – so wie sie es auch in ihren Gesprächen tut. In WEISSE RABEN zeigt sich die Stärke der Regisseurin, an die Gebeutelten herantreten und ihrer Verstummtheit begegnen zu können. So wie sie sich auch Zutritt zu versperrten Orten verschafft und im Gefängnis mit Kiril spricht, der nach seinem Kriegstrauma ein Sexualverbrechen beging und verurteilt wurde. Dabei tritt sie selbst als Fragestellerin ins Bild, ist zugänglich, aber auch beharrlich.
Parallel dazu thematisiert WEISSE RABEN auch die schwierige Spurensuche nach Bildern aus dem Tschetschenienkrieg, denn in Tschetschenien selbst konnte nicht gedreht werden. Trampe und Feindt sind mit ausgedruckten Standbildern aus einem russischen Videofilm, der die Verhaftung einer tschetschenischen Einheit durch russische Soldaten zeigt, unterwegs. Sie suchen nach den beiden Frauen, die dort am Boden knien, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, ihr Blick direkt in die Kamera gerichtet.
Di 13 Sept | Luru Kino in der Spinnerei |
21:00 Uhr | regulär: 6,5€ / reduziert 5,5€ Doppelticket mit MIT PYRAMIDEN : 11€ / 9€ reduziert |