IN 2022, R: Sanjay Leela Bhansali, D: Alia Bhatt, Ajay Devgn, Shantanu Maheshwari, 157’, OmeU, DCP


GANGUBAI KATHIAWADI basiert auf dem Buch Mafia Queens of Mumbai von Hussain Zaidi und erzählt von einer Frau, die während der 1950er-Jahre im Kindesalter als Sexarbeiterin ins Rotlichtviertel von Kamathipura verkauft wird. Damit ist Gangubai gezwungen sich zu behaupten – als Mensch in einem Milieu voller Skrupellosigkeit, als Frau in einer frauenfeindlichen Gesellschaft und schließlich als politische Akteurin, die gegen eine religiös geprägte Elite ankämpft, die ihr das Recht auf Existenz abspricht. Sie setzt sich gegen ihre Widersacher zur Wehr und knüpft Kontakte zur Unterwelt von Mumbai. Ihre politischen Ambitionen eröffnen ihr sogar eine Privataudienz beim Premierminister.
Aber es ist auch ein Film voller opulenter, sinnlicher Reize, Genre-Zitate und Bollywood-Pathos. Die obligatorischen Musicalsequenzen nutzt der Film, um mit Musik, Tanz und Lyrik kontrastreich die Beziehungen und Gefühle der Figuren zu erzählen. Die bemerkenswerte Alia Bhatt, die Gangu verkörpert, ist auch eine sensationelle Tänzerin. Und auch wenn ihre Darstellung nichts Subtiles an sich hat, spielt sie die Heldin doch mit großem Schwung und so viel Komplexität, wie es die Form erlaubt.
Do 14. Sept | Schaubühne Lindenfels |
21:30 Uhr | € 6,5 (5,5 erm./red.) |
BR/PT 2023, R: João Salaviza, Renée Nader Messora, D: Ilda Patpro Krahô, Francisco Hỳjnõ Krahô, Solane Tehtikwỳj Krahô, 124’, OmeU, DCP




Im Zentrum des Films steht die Beziehung von einer Mutter zu ihrer Tochter: wir sehen die Mutter beim Leben im Dorf und bei ihren täglichen Verrichtungen in dahin schlendernden Bildern – sie gelangt immer mehr zur Überzeugung, dass eine Person aus der Community sie auf einer großen Konferenz für die Rechte Indigener in Brasilia vertreten sollte und fährt im Laufe des Films dann auch dorthin. Um ihre Tochter macht sie sich Sorgen, weil diese nicht schlafen kann und in ihren Träumen Visionen hat, die sie nicht entschlüsseln kann.
Nach THE DEAD AND THE OTHERS von 2018 widmet sich das Regieduo João Salaviza und Renée Nader Messora abermals dem Schicksal und den Geschichten der indigenen Gemeinschaft der Krahô im Nordosten Brasiliens. Als „embedded filmmakers“ haben sie über 15 Monate zusammen mit der Gemeinschaft gelebt und gearbeitet. Der Film erzählt aus der Perspektive der Krahô aus ihren Leben, Ritualen, Erinnerungen und Träumen: einige von ihnen haben kollaborativ mit Salaviza und Nader Messora das Drehbuch verfasst und spielen sich selbst. THE BURITI FLOWER ist ein non-linearer, empathischer Film voll lyrischer Visualität, er verschränkt organisch gestern und heute: neben einem gespenstischen Reenactment des Massakers an den Krahô aus den 1940er Jahren sehen wir sie beim Bewachen des Landes gegen private Papageiendiebe und erfahren von der Gefahr industrieller Abholzung, die durch die deregulierte, politische Situation begünstigt wird. Aus Vergangenheit wird Gegenwart – die Krahô geben ihre Geschichten weiter und leisten Widerstand.
Do 14. Sept | Schaubühne Lindenfels |
19:00 Uhr | € 6,5 (5,5 erm./red.) |
AT/DE 2023, R: Selma Doborac, D: Christoph Bach, Cornelius Obonya, 130’, OmeU, DCP




Wie kann sich das Kino mit der Komplexität der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und mit extremer Gewalt befassen ohne damit gemeinsame Sache zu machen? DE FACTO findet im akribisch geführten Spiel zweier Schauspieler, mittels eines präzis gebauten Filmskripts und in einem streng reduzierten Setting Antworten auf diese Fragen. In langen und statischen Einstellungen und getrennt von einander präsentieren zwei Schauspieler Texte, die sich auf konkrete Formen der Entmenschlichung und auf damit einhergehende Täterschaft beziehen.
Die extreme Gewalt und die Beweggründe der Täter, die sie ausübten, sind zentrale Bestandteile der Monologe. In dieser Anordnung sind wir als Zuschauende mit einem von Selma Doborac hochgradig verdichteten Text konfrontiert. Dieser beruht auf Fakten und wird von den beiden dramatischen Figuren präsentiert – in Form von Gerichtsprotokollen, Täteraussagen und Berichten über alltägliche Geschehnisse. Die körperliche Präsenz der Spielenden – ihre Haltung sowie der mentale Akt des Erinnerns, der sich im Sprechen manifestiert – komplementieren die Drastik der Sprachinhalte. Mit ihrem zweiten Langfilm schreibt sich Selma Doborac tief in gegenwärtige Diskurse um eine angemessene Darstellbarkeit von Täterschaft ein.
Mi 13. Sept | Schaubühne Lindenfels |
20:00 Uhr | € 6,5 (5,5 erm./red.) |
Carte blanche | KINO ARMATA
AS I WAS LOOKING ABOVE, I COULD SEE MYSELF UNDERNEATH
CH/XK 2022, R: Ilir Hasanaj, Dok, 62’, OmeU, DCP












Der Film schildert die Geschichten von sieben im Kosovo lebenden LGBTQIA+ – Personen aus unterschiedlichen Verhältnissen und Generationen. In ihren eigenen Worten und zum ersten Mal in einem koso-varischen Film mit ihren echten Namen, Stimmen und Gesichtern erzählen Megi, Semi, Edon, Qerkica, Mustafa, Blendi und Linda von der Entdeckung ihres Queer- Seins und ihrem Leben in einem Umfeld der Nicht-Akzeptanz und Ausgrenzung. Es geht um Hoffnungen und Träume, um Verlust und Niederlage und um die Bedeutung von Heimat.
AS I WAS LOOKING ABOVE erforscht die isolierte Kultur der Resilienz, die über viele Jahre hinweg in einem intimen Rahmen gepflegt und durch gegenseitige Solidarität und Mitgefühl zusammengehalten wurde. Die Kontraste zwischen den Geschichten der jüngeren und älteren Protagonist:innen spiegeln die sozialen Veränderungen, die der Kosovo seit den 90er Jahren vor dem Krieg bis hin zur ersten Pride Parade in Pristina 2017 durchgemacht hat. Im Kosovo und in großen Teilen des Balkans sind Queerness und Homosexualität nach wie vor ein großes Tabu. Der Großteil der kosovarischen Bevölkerung ist konservativ muslimisch geprägt, was nicht zum Abbau der Vorurteile beiträgt – zusätzlich gibt es die beliebte Falschbehauptung, Queer-Sein sei eine Ideologie, die nach dem letzten Kosovo-Krieg aus dem Westen importiert worden sei. Dem entgegen stehen die Erzählungen dieses raren Dokuments.
Di 12. Sept | KINO ARMATA Luru Kino in der Spinnerei |
19:00 Uhr | In Anwesenheit von Ilir Hasanaj € 6,5 (5,5 erm./red.) |
Retrospektive | ANIMAL REALITIES
US 1974, R: Frederick Wiseman, Dok, 105’, engl. OV, 16mm
PRIMATE



Der Dokumentarist Frederick Wiseman hat das Gros seines Filmschaffens dem Porträtieren von öffentlich (teil-)finanzierten Institutionen der Vereinigten Staaten gewidmet. Die demokratische Öffentlichkeit habe schließlich ein Recht zu erfahren, wo das Steuergeld hinfließt. Seit den 1970ern hat er dabei eine Methode entwickelt, der er bis heute treu geblieben ist: Keine erklärenden Voice-Over, keine externe Filmmusik, keine Talking-Head-Interviews, die für das Filmteam (bestehend aus Wiseman am Ton und seine Stammkameramänner) arrangiert wären. Das heißt nicht, dass die Filme „neutral“ auf ihre Mikrokosmen blicken; aus der Selektion des Materials aus abertausenden Filmmetern lässt sich die Haltung Wisemans ablesen.
In PRIMATE begibt sich Wiseman in das Yerkes Primate Research Center, ein für den damaligen Standard avanciertes Forschungszentrum der Primatenforschung. Er ist hier vor allem an den für Außenstehende hermetisch wirkenden Abläufen interessiert, weniger an den individuellen Perspektiven der Akteur:innen. Was den Film für manch eine:n zu einer Bewährungsprobe macht, sind seine konzentrierten Blicke auf Tierversuchspraktiken, die mitunter die Assoziation zu Folterungen zulassen. „[E]ine Mischung aus Horror- und Science-Fiction- Film, in dem eine Gruppe von Primaten ihre Macht gegenüber einer anderen Gruppe von Primaten durchsetzt.“ (Hannes Brühwiler)
Di 12. Sept | ANIMAL REALITIES Luru Kino in der Spinnerei |
21:00 Uhr | € 6,5 (5,5 erm./red.) |