GULYABANİ (NL/TR 2018 Gürcan Keltek)

NL/TR 2018, R/D: Gürcan Keltek, Dok/Doc 35’, OmeU/OV with English subtitles, DCP

Gulyabani. In der türkischen Mythologie ein Wesen mit übersinnlichen Fähigkeiten. Ein Djinn. Ein Ghoul. Ein kleines Mädchen aus Ìzmir wird dafür gehalten. Sie kann Tote sehen. Und kalte Herzen. Von der eigenen Familie eingesperrt, wird es als Wahrsagerin, Medium und Talisman missbraucht. Nach dem Putsch von 1980 wird sie schließlich von faschistischen Paramilitärs für ähnliche Zwecke entführt und in einer Mine festgehalten. Filmemacher Gürcan Keltek nimmt nach seiner lyrischen Dokumentararbeit METEORS die Tagebücher und Berichte einer Verwandten als Ausgangspunkt, um eine weitere klanglich und visuell beeindruckende Reise zu beginnen, in der sich Biografie und Geschichte, Aberglauben und Staatsterror, Kosmisches und Irdisches assoziativ vebinden. Luzide Phasen wechseln sich ab mit dunklem Terrain. Wir betreten jäh die Welt der Geister, verirren uns in flüchtigen Erinnerungsbildern, die zu lange im Silber lagen, verblasst sind vom Lichtentzug, porös durch unzählige Jahre Leben, überschichtet mit Erzählungen und vernarbt von seelischen Wunden.

Do 11.April 20 Uhr – UT Connewitz – € 6,5 (5,5erm.)


Trailer

La Casa Lobo / Das Wolfshaus (CL 2018, Cristóbal León & Joaquín Cociña)

CL 2018, R: Cristóbal León & Joaquín Cociña, 75’, OmdU/OV with German subtitles, DCP

Ein Imagefilm stellt sie vor: die Colonia Dignidad. Mit süßlicher Erzählerstimme berichtet der „Hirte“ vom Leben in der Gemeinschaft aus deutschen Aussiedlerinnen, räumt mit unliebsamen Gerüchten auf und erwähnt auch Maria. Maria konnte fliehen und mit ihr zwei kleine Schweinchen. Im Wald findet sie ein Haus und versteckt sich mit den Gefährten darin vor den Klauen des Wolfs. Es raschelt, knarrt und knackst, im Innern und Außen. Die Welt der traumatisierten, jungen Frau im ersten abendfüllenden Spielfilm der chilenischen Puppen- und Animationskünstler ist eine sich stets wandelnde. Farbe fließt an den Wänden entlang und formt Gesichter. Die Körper aus Pappmaché zerlaufen und bilden sich neu. Alles bröckelt, wackelt, stöhnt und starrt. Grundlage für DAS WOLFSHAUS war eine Serie von Ausstellungen, in der die Besucherinnen Anteil nehmen konnten am Entstehungsprozess. Die durch Stop-Motion- Technik zum Leben erweckten Arrangements wurden durch minutiöse Kleinarbeit in Europa und Südamerika realisiert. Im filmischen Resultat vereinen sich die großflächigen Malereien und die virtuose Skulpturkunst mit Geräuschen, Stimmen und Volksliedern zu einem ebenso intensiven wie berührenden Alptraum, der zugleich eine politische Parabel ist auf die Schreckensherrschaft Augusto Pinochets.

11. April, 20 Uhr – UT Connewitz – € 6,5 (5,5 erm.)


Trailer

Geschichten Vom Kübelkind (BRD 1971 Ula Stöckl, Edgar Reitz)

BRD 1971, R: Ula Stöckl, Edgar Reitz, D: Kristine de Loup, Bruno Bendel, Alf Brustellin, 22 Episoden, Gesamtlänge: 220’, OmeU, digital

Das Kübelkind – im Wienerischen Schmäh die Bezeichnung für die Nachgeburt und für das Wegzuwerfene, den zivilisatorischen Ausschuss – wuchs als solcher Überrest in einer Mülltonne heran und soll nun in die bürgerliche Gesellschaft integriert werden. So zumindest der Plan, von dessen Scheitern insgesamt 22 Episoden erzählen. Das Kübelkind ist frivol, hedonistisch, schmutzig, allzu neugierig, klaut, fickt, verführt und signalisiert diese Gefahr für die wohlgeordneten Verhältnisse bereits in seiner Erscheinung: rote Schuhe, rote Socken, rotes Kleid. Das Kübelkind geht in die Schule und die Kirche, es durchreist die Zeit und lässt die Realität hinter sich, trifft Al Capone, verwandelt sich in einen Vampyr und landet auf dem Scheiterhaufen. Aber selbst die angedrohten tausend Tode sorgen nicht dafür, dass es sich anpasst.
Nur heute Abend wird die Pracht zum Kneipenkino, zum Kübelkindkino. Die Gäste können einzelne Episoden von der Speisekarte wählen.

11. April, 22:30 Uhr – Pracht (Wurzener Straße 17, 04315) – Eintritt frei

Ich war zuhause, aber… (GER 2019, Angela Schanelec)

GER/SRB 2019, D: Angela Schanelec, A: Maren Eggert, Jakob Lassalle, Clara Möller, Franz Rogowski, Lilith Stangenberg, Alan Williams, Jirka Zett, Dane Komljen, 105’, dt. OV mit engl. Untertiteln

Lässt sich in einem Spielfilm authentisch der Tod behandeln? Was bedeutet es, wenn ein Darsteller vorgibt todkrank zu sein – ist dies ethisch wie ästhetisch vertretbar oder bloß Lüge? Können Bilder eine Wahrheit vermitteln, die keine persönliche sondern eine universelle ist? Diese Probleme lässt Angela Schanelec in ihrem neuen Film ihre Hauptfigur Astrid direkt aussprechen. Astrid hat ihren Mann und den Vater der gemeinsamen beiden Kinder verloren. Einem Bekannten, der eben dieses Thema in einer künstlerischen Arbeit behandelte, wirft sie vor, die Schranke der Darstellbarkeit überschritten zu haben. Schanelec geht wie bereits Yasujirō Ozu, an dessen Stummfilm „Ich wurde geboren, aber“ sie den Filmtitel anlehnt, einen anderen Weg: Erzählt wird über das Abwesende, die Auslassung, das Davor und Danach dramatischer Ereignisse. Was zu sehen ist, ist die Beschaffenheit der Figuren. Eindrücke finden sich in deren physischer Präsenz – Schmutz, Verletzungen, Erkrankung, Körperhaltung und Gestik. Die Oberfläche der Akteurinnen macht deren Persönlichkeit gegenständlich. Körper isolieren sich. Interaktionen provozieren Ausbrüche. Ängste treten nach Außen. Berührungen besänftigten. Die Schauspielerinnen füllen ihre Rolle körperlich aus, anstatt sie naturalistisch und wirklichkeitsnah zu spielen. Schanelec interessiert sich nicht für die Inszenierung von Schicksal. Sie zeigt eine Momentaufnahme alltäglicher Melancholie. Das strenge Konzept ihrer Bilder macht Wahrheit sichtbar und ermächtigt den Betrachtenden, durch Begreifen Anteil zu nehmen.

12. April, 20 Uhr – Luru Kino in der Spinnerei – € 6,5 (5,5 erm.)


Ausschnitt

GEGENkino präsentiert | Andrea Belfi, I T O E & Flying Moon In Space vertonen Materialfilme (BRD W+B Hein)

Als progressive Vertreterinnen des Undergroundfilms der 60er und 70er Jahre vollziehen Wilhelm und Birgit Hein eine radikale Abkehr vom Erzählkino. Anti-illusionistisch und nicht-unterhaltend sind ihre Materialfilme, von denen wir eine Auswahl sehen. Die physische Präsenz des analogen Filmstreifens und die technischen Voraussetzungen seiner Vorführung, die ansonsten im Verborgenen verbleiben (die zum Abspiel benötigten Perforationen etwa, die Tonspur oder der bei der Vorbereitung entstandene Ausschuss) bilden in W+B Heins Arbeiten wiederkehrende Elemente genauso wie Zurichtungen des Zelluloids. Fragmente und Überbleibsel üblicherweise nicht sichtbarer Start- und Endbänder von 35mm-Kopien, deren Zerkratzungen und einzelne Bildkader unbeachtende Neuanordnungen bilden den Bestandteil von „Materialfilme“. „625“ besteht aus mit wechselnden Unschärfen vom TV abgefilmten und negativ reproduzierten, körnigen Rastern, die sich auf 625 Zeilen verteilen.

I T O E , Andrea Belfi und Flying Moon in Space, die auf je eigene Weise an der Schnittstelle von Ambient, Kraut und Psychedelia arbeiten, werden je einen Materialfilm live und exklusiv vertonen. Der Sechser Flying Moon in Space klingt, als käme er from Outta-Space. Mit viel Effektrückenwind erzeugen sie groovenden, harmonischen Progrock und gelegentlich harte, eruptive Jam-Passagen. Solo-Schlagzeuger Andrea Belfi bespielt gleichzeitig ein spartanisches Drum-Set und verschiedene elektronische Tonerzeuger und lässt so seine ein reiches Klangspektrum generierenden Spieltechniken mit den Texturen der Synthesizer verschmelzen. Freiheit in der Struktur und Synthies auch bei I T O E, die ihre Klangradikale zusätzlich mit Gitarrenschleifen und gelegentlichen Saxophonspuren anreichern und in hypnotischen Repetitionen aufgehen lassen.

In SECRETSHOW arbeitet der italienische Musiker und Medienkünstler Andrea Marinelli mit den nahezu vergessenen ästhetischen Potenzialen von Overheadprojektoren. Im Zusammenspiel mit elektronischen Klanglandschaften improvisiert er jedes Mal aufs Neue eine einzigartige Erfahrung aus Licht und Sound. Die audiovisuelle Performance nutzt die Besonderheiten städtischer oder musealer Orte, die Farben und Texturen der Wände, die Verwinkelungen von Räumen. Fotografien von Gesichtern, Masken und Statuen überlagern einander, Schatten interferieren und verschwinden, die sonst so definierte Kadrage des Bildes unterliegt einer konstanten Veränderung. Gealterte Filmstreifen spielen mit der Aura des Ikonischen, während Tonaufnahmen von verschiedenen Sprachen und Dialekten multiple Bedeutungsfelder eröffnen, Geheimnisse lüften und wieder verschlüsseln. Die u.a. schon auf internationalen Festivals wie dem IFF Locarno gezeigte Show variiert der Mailänder Künstler auch für kleine, familiäre Settings wie etwa private Partys. Für das GEGENkino wird er im Rahmen einer Deutschlandpremiere einen Abend für die akustischen und architektonischen Charakteristika des UT Connewitz gestalten.

Sa 13. April 2019
UT Connewitz
LIVE SCORE
21 UhrAndrea Belfi, I T O E & Flying Moon In Space vertonen
Materialfilme (BRD W+B Hein): Materialfilme (1976 , 35′, 35mm), 625 (1969, 34′, digital), Reproductions (1968, 28′, digital)

vorab:Andrea Marinelli: SECRETSHOW

T I C K E T S gibt es bei culton im Peterssteinweg 9 und online über tixforgigs.com