Carte blanche | KINO ARMATA
AS I WAS LOOKING ABOVE, I COULD SEE MYSELF UNDERNEATH
CH/XK 2022, R: Ilir Hasanaj, Dok, 62’, OmeU, DCP












Der Film schildert die Geschichten von sieben im Kosovo lebenden LGBTQIA+ – Personen aus unterschiedlichen Verhältnissen und Generationen. In ihren eigenen Worten und zum ersten Mal in einem koso-varischen Film mit ihren echten Namen, Stimmen und Gesichtern erzählen Megi, Semi, Edon, Qerkica, Mustafa, Blendi und Linda von der Entdeckung ihres Queer- Seins und ihrem Leben in einem Umfeld der Nicht-Akzeptanz und Ausgrenzung. Es geht um Hoffnungen und Träume, um Verlust und Niederlage und um die Bedeutung von Heimat.
AS I WAS LOOKING ABOVE erforscht die isolierte Kultur der Resilienz, die über viele Jahre hinweg in einem intimen Rahmen gepflegt und durch gegenseitige Solidarität und Mitgefühl zusammengehalten wurde. Die Kontraste zwischen den Geschichten der jüngeren und älteren Protagonist:innen spiegeln die sozialen Veränderungen, die der Kosovo seit den 90er Jahren vor dem Krieg bis hin zur ersten Pride Parade in Pristina 2017 durchgemacht hat. Im Kosovo und in großen Teilen des Balkans sind Queerness und Homosexualität nach wie vor ein großes Tabu. Der Großteil der kosovarischen Bevölkerung ist konservativ muslimisch geprägt, was nicht zum Abbau der Vorurteile beiträgt – zusätzlich gibt es die beliebte Falschbehauptung, Queer-Sein sei eine Ideologie, die nach dem letzten Kosovo-Krieg aus dem Westen importiert worden sei. Dem entgegen stehen die Erzählungen dieses raren Dokuments.
Di 12. Sept | KINO ARMATA Luru Kino in der Spinnerei |
| 19:00 Uhr | In Anwesenheit von Ilir Hasanaj € 6,5 (5,5 erm./red.) |
Retrospektive | ANIMAL REALITIES
US 1974, R: Frederick Wiseman, Dok, 105’, engl. OV, 16mm
PRIMATE



Der Dokumentarist Frederick Wiseman hat das Gros seines Filmschaffens dem Porträtieren von öffentlich (teil-)finanzierten Institutionen der Vereinigten Staaten gewidmet. Die demokratische Öffentlichkeit habe schließlich ein Recht zu erfahren, wo das Steuergeld hinfließt. Seit den 1970ern hat er dabei eine Methode entwickelt, der er bis heute treu geblieben ist: Keine erklärenden Voice-Over, keine externe Filmmusik, keine Talking-Head-Interviews, die für das Filmteam (bestehend aus Wiseman am Ton und seine Stammkameramänner) arrangiert wären. Das heißt nicht, dass die Filme „neutral“ auf ihre Mikrokosmen blicken; aus der Selektion des Materials aus abertausenden Filmmetern lässt sich die Haltung Wisemans ablesen.
In PRIMATE begibt sich Wiseman in das Yerkes Primate Research Center, ein für den damaligen Standard avanciertes Forschungszentrum der Primatenforschung. Er ist hier vor allem an den für Außenstehende hermetisch wirkenden Abläufen interessiert, weniger an den individuellen Perspektiven der Akteur:innen. Was den Film für manch eine:n zu einer Bewährungsprobe macht, sind seine konzentrierten Blicke auf Tierversuchspraktiken, die mitunter die Assoziation zu Folterungen zulassen. „[E]ine Mischung aus Horror- und Science-Fiction- Film, in dem eine Gruppe von Primaten ihre Macht gegenüber einer anderen Gruppe von Primaten durchsetzt.“ (Hannes Brühwiler)
Di 12. Sept | ANIMAL REALITIES Luru Kino in der Spinnerei |
| 21:00 Uhr | € 6,5 (5,5 erm./red.) |
BR/PT 2022, R: Joana Pimenta, Adirley Queirós, D: Joana Darc Furtado, Léa Alves da Silva, Andreia Vieira, 153’, OmeU, DCP







Chitara und Léa sind Halbschwestern und wiedervereint: Léa ist gerade wieder aus dem Gefängnis entlassen worden. Sie leben in Sol Nascente, einer trostlosen Favela am Stadtrand von Brasilia, und sind „gasolinheiras“: sie stellen aus Rohöl Benzin her und verkaufen es an lokale Motorradcrews. Mit einer Gruppe von Frauen betreiben sie eine kleine Fabrik, in der sie das Öl illegal aus Leitungen abzapfen und verarbeiten. So überleben sie inmitten von Drogenhandel und der Konkurrenz mit kriminellen Kartellen.
DRY GROUND BURNING führt vielschichtig wie grimmig vor, wozu Entmündigungen bestimmter Gruppen und Gesellschaftsschichten unter einer autoritären Regierung führen können: zu Rebellion, gespickt mit Gewalt und Gegengewalt. Ästhetisch eine clevere Mischung aus dokumentarischen und fiktionalisierten Passagen, sehen wir Bilder von nächtlichen Eskapaden, militarisierten Polizeipatrouillen und von den Arbeitsprozessen in ihrer Fabrik – alles im Wechsel mit intimen Gesprächen der Frauen über Familie, die Zustände und die Möglichkeit einer Zukunft. Basis des Film ist das reale Leben der Porträtierten, angereichert mit visuellen Anleihen aus dem Gangstergenre und dystopischer Science-Fiction à la MAD MAX. Dank der Mittel des Kinos kann Léa am Ende des Films eine Rachefantasie verwirklichen: DRY GROUND BURNING kulminiert in einem Bild, das Zerstörung und Grazie vereint. Ein ungehemmtes, politisches Statement jenseits von Didaktik.
| Mo 11. Sept | Schaubühne Lindenfels |
| 21:00 Uhr | € 6,5 (5,5 erm./red.) |
Carte blanche | KINO ARMATA
PA VEND / DISPLACED
XK 2021, R: Samir Karahoda, 15’, OmeU, digital
I HAVE NEVER BEEN ON AN AIRPLANE
XK 2020, R: Redon Kika, 9’, OmeU, digital
JEHONË / ECHO
XK 2022, R: Ana Morina, 8’, OmeU, digital
SHPIJA / HOME
XK 2022, R: Flaka Kokolli, 7’, ohne Dialog, digital
GARDHI / FENCE
XK/HR/FR 2018, R: Lendita Zeqiraj, 15’, OmeU, digital
KANGË E DEFA: FEMALE RHAPSODY IN KOSOVA
DE/XK 2014, R: Vincent Moon, Fatime Kosumi, 29’, Dok, OmeU, digital


Alush Gashi und Ilir Hasanaj haben für das GEGENkino eine Kurzfilmrolle zusammengestellt, die einen Einblick in das gegenwärtige filmische Schaffen des Kosovo gewährt. Ästhetisch ist eine große Bandbreite an Arbeiten vertreten, angefangen etwa mit DISPLACED, der über den internationalen Festivalzirkus tourte und 2021 in Toronto als bester Kurzfilm ausgezeichnet wurde: Ein Tischtennisclub muss immer wieder umziehen, weil er über keine festen Trainingsräume verfügt. Alte Garagen, leerstehende Hochzeits-säle – mitunter wird die Platte auch kurzerhand auf dem Traktor transportiert. Eine humorvolle, subtil-metaphorische Studie über junges Talent in einer abweisenden Umgebung. Oder auch der fiktionale FENCE, in dem ein launiges Familientreffen mit dem unwillkommenen Eintreffen eines jungen Roma und seinem Hund langsam ins Chaotische abdriftet. FEMALE RHAPSODY IN KOSOVA spürt in einem poetischen Trip dem Klang der Landschaft nach, den Harmonien eines Landes durch seine traditionellen Frauengesänge – ein Mosaik voller Geschichten, Charaktere und Musik. Der Animationsfilm HOME thematisiert den Wunsch des Weggehens von einem Zuhause, bei dem das Zuhause aber mitkommt und immer dabei ist. Dazu mit I WAS NEVER ON AN AIRPLANE und JEHONË zwei Filme der „Neo_ School“ des Kino ARMATA.
Mo 11. Sept | KINO ARMATA Schaubühne Lindenfels |
| 19:00 Uhr | In Anwesenheit von Alush Gashi und Ilir Hasanaj € 6,5 (5,5 erm./red.) |
Carte Blanche | KINO ARMATA









Im Zuge einer internationalen Kooperation begrüßen wir zwei Gäste aus Pristina: Alush Gashi, Direktor des ARMATA, sowie Ilir Hasanaj, Regisseur und Mitgründer desselben, werden an zwei Tagen ein von ihnen kuratiertes Programm kosovarischer Filme vorstellen und mit uns über das Kino ARMATA und die kosovarische Filmlandschaft ins Gespräch zu kommen.
Das Kino ARMATA existiert in der kosovarischen Hauptstadt seit 2018 und beschreibt sich als „public space, promoting alternative culture and social dialogue“. Das Gebäude ist in staatlicher Hand und wurde der Stadtverwaltung Pristina zur Verfügung gestellt, die wiederum die Programmierung einem unabhängig arbeitenden Kollektiv überlässt – eine im Kosovo einmalige Konstellation. Dies ermöglichte eine Wiederaneignung von unten, nachdem das Gebäude in der Vergangenheit unterschiedlichen Zwecken diente. In den 1980ern nutzte es die jugoslawische Armee für Filmprogramme, Tanzabende und kulturelle Veranstaltungen (mitunter mit propagandistischem Ethos). Im Zuge der Verschlimmerung der politischen Situation zwischen Serbien und dem Kosovo Ende der 80er boykottierten Kosovo- Albaner:innen serbisch getragene kulturelle Institutionen, bis das Haus 1988 für die Öffentlichkeit geschlossen wurde und nur noch interne Veranstaltungen für serbisches Klientel stattfanden. In den 90ern wurde es während des Kosovokrieges vom Militär genutzt – nach dem offiziellen Ende des Krieges 1999 dann von der UN zu administrativen Zwecken bis 2017. Über all die Jahre blieb das sozialistische Interieur des Kinos und der angrenzenden Bürogebäude erhalten. Die Sitze des Kinos sind UN-blau. Somit bietet sich die Möglichkeit das kulturelle Erbe neu zu interpretieren: die Community, die sich rund um das Kino gebildet hat und bildet, ist eine lebendige Komponente bei der Einordnung historischer und sozialer Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit.
Die zwei Säulen des Programms sind Film und Musik. Neben einem Filmprogramm bieten sie mit der Plattform Neo_School niederschwellig zugängliche Intensivkurse im Filmemachen, Fotografie und Audioproduktion an. Darüber hinaus gibt es den kritischen Filmklub Kineto und das Tape- und Vinyl-label ARMATA Records, dessen Releases vor Ort produziert oder in Kooperation mit dem ansässigen Team entstanden sind. Über das ARMATA hinaus hat das kosovarische Kino in den Jahren seit dem Kosovokrieg eine bemerkenswerte Entwicklung und ein Wachstum erlebt und spiegelt die sozialen und kulturellen Veränderungen in dem kleinen, lebhaften Balkanland wider. Die Themen des kosovarischen Kinos drehen sich häufig um die Folgen des Krieges, um Identität und soziale Fragen und bieten einen Einblick in die Geschichte des Landes und seine aktuellen Herausforderungen.
Kosovarische Filme finden international Beifall – trotz finanzieller Engpässe und begrenzter Ressourcen floriert das dortige Kino dank der Entschlossenheit und Kreativität seiner Filmemacher:innen weiter. Festivals wie das DokuFest in Prizren und das Prishtina International Film Festival (PriFest) sind zu wichtigen internationalen Plattformen geworden.
| 11.09.23 Schaubühne Lindenfels Kino 19 Uhr | Kurzfilmrolle PA VEND / DISPLACED XK 2021, R: Samir Karahoda, 15’, OmeU, digital I HAVE NEVER BEEN ON AN AIRPLANE XK 2020, R: Redon Kika, 9’, OmeU, digital JEHONË / ECHO XK 2022, R: Ana Morina, 8’, OmeU, digital SHPIJA / HOME XK 2022, R: Flaka Kokolli, 7’, ohne Dialog, digital GARDHI / FENCE XK/HR/FR 2018, R: Lendita Zeqiraj, 15’, OmeU, digital KANGË E DEFA: FEMALE RHAPSODY IN KOSOVA DE/XK 2014, R: Vincent Moon, Fatime Kosumi, 29’, Dok, OmeU, digital |
| 12.09.23 Schaubühne Lindenfels 19 Uhr | Deutschlandpremiere KAH KQYRSHA PËRPJETË, E SHIHSHA VETEN PËRFUNI / AS I WAS LOOKING ABOVE, I COULD SEE MYSELF UNDERNEATH CH/XK 2022, R: Ilir Hasanaj, Dok, 62’, OmeU, DCP |