29.08.2021 | My Mexican Bretzel (ES 2019, Nuria Giménez)

ES 2019, R: Nuria Giménez, D: Ilse Ringier, Frank Lorang, 72’, OmeU, DCP

„Lügen sind nur eine andere Art, die Wahrheit zu sagen“. Dieses ambivalente Zitat eröffnet die außerordentliche, archäologische Arbeit an einer Geschichte, die Nuria Giménez in ihrem ersten Langfilm mit Mitteln der Vorstellungskraft vorantreibt. Erzählt wird eine 20-jährige Ehe – auf Basis des Tagebuchs von Vivian Barrett: ihre Einträge sind in den Untertiteln zu lesen und werden ergänzt durch 16 mm-Farbbilder, die ihr glamouröses Leben aus Sicht ihres Mannes Léon schildern – Gedanken mal untermauernd, mal in Frage stellend, dabei in ihrer visuellen Kraft immer hypnotisierend.

Es entfaltet sich ein Spiel um Aufrichtigkeit und Verstellung, Freiheit und Unterdrückung. Eine beunruhigende Dialektik nistet sich ein zwischen Gezeigtem und Verborgenem, das in einem unergründlichen Außen zurück bleibt; groß wie der Rest der Welt, perverse Synthese von Unzufriedenheit und Herablassung. MY MEXICAN BRETZEL spielt mit Erzählstrategien, der Wahrhaftigkeit von Bildern, ihrer Dekontextualisierung und Neuinterpretation – auf Ebene der Protagonist*innen wie auf der rezeptiven der Zuschauenden. Eine Arbeit mit durch und durch filmischem Bewusstsein: in der Schrift, in den Texturen, im Rhythmus, im Ton – ein Beziehungsporträt, das aus dem Vertrauten ins Politische überläuft.

So 29.08.Schaubühne Lindenfels
19 UhrMit einer Einführung von Ricardo Apilánez

regulär: 6,5€ / ermäßigt 5,5€
im Doppel: 11€ / ermäßigt 9€

mit Unterstützung der Botschaft von Spanien in Berlin


29.08.2021 | Endless Night (ES 2019, Eloy Enciso)

ES 2019, R: Eloy Enciso, D: Misha Bies Golas, Nuria Lestegás, Celsa Araújo, 90’, OmeU, DCP

In einer kleinen Stadt in Galicien kehrt nach dem Bürgerkrieg in Spanien ein Gespenst zurück; oder etwas, das eines sein sollte. Ein politischer Häftling, der vor Kurzem entlassen wurde, wandert durch die Straßen und flieht vor Bedrohung in die Wälder. Auf seinem Weg wird ihm durch Bekanntschaften, die er macht, das Franco- Regime gewahr, das alle erfasst hat: von Bettelnden bis zum Bürgermeister, von den Arbeitern und der Bourgeoisie bis hin zur Mutter ohne Sohn. Eloy Enciso gestaltet seinen dritten Spielfilm auf eine zutiefst beunruhigende Weise: Die Nacht im Titel ist nicht nur Metapher der langen Diktatur, sie ist auch Zuflucht und Alptraum der Verfolgten, sowie die natürliche Umgebung der Gespenster, durch welche sich die Vergangenheit Zutritt verschafft.

Denn es geht hier nicht nur um Erinnerung, sondern darum der Gegenwart den Spiegel der Geschichte vorzuhalten. Der Film tastet sich sowohl ins Abstrakte als auch ins Konkrete vor. Die Dramatik erwächst nicht aus Schauspiel oder Inszenierung, sondern aus der Struktur selbst: unterstützt von immer nachdrücklicheren Texten – zuerst theatrale Dialoge, dann Zeuginnenaussagen von Exilautorinnen und schließlich Briefe von zum Tode Verurteilten – der leuchtenden Nachtfotografie von Mauro Herce und der Schutzlosigkeit des Protagonisten.

So 29.08.Schaubühne Lindenfels
21 UhrIn Anwesenheit von Eloy Enciso

regulär: 6,5€ / ermäßigt 5,5€
im Doppel: 11€ / ermäßigt 9€

mit Unterstützung der Botschaft von Spanien in Berlin


https://www.youtube.com/watch?v=OrAAiXHBFgM

30.08.2021 | Coma (SY/LB 2015, Sara Fattahi)

SY/LB 2015, R: Sara Fattahi, Dok, 98’, OmeU, DCP

Grelles Tageslicht dringt nur hie und da in die abgedunkelten Zimmer der geräumigen Großstadtwohnung. Ein schemenhafter, von der Kamera atmosphärisch eingefangener Mikrokosmos im kriegsgezeichneten Damaskus ist im Folgenden der Schauplatz eines gesamtgesellschaftlichen wie privaten Dramas. Drei Frauen aus unterschiedlichen Generationen leben hier: Großmutter, Mutter und die Tochter bzw. Enkelin Sara, die Filmemacherin, die mit COMA ein experimentelles „Home Movie“ geschaffen hat. Während draußen der Krieg tobt – immer wieder dringt das Zeitgeschehen über den laufenden Fernseher oder das Radio in die privaten Räume ein – tragen die Familienmitglieder Kämpfe mit sich selbst, aber auch untereinander aus.

Dem Ausnahmezustand der Stadt entspricht die zunehmende Lähmung der Bewohnerinnen. Das Immergleiche des verriegelten Alltags wird poetisch mit Passagen verwoben, in denen das Vergangene mit dem Gegenwärtigen kollidiert, die seelische Belastbarkeit der Protagonistinnen an ihre Grenzen gerät. Vor allem dem eindrücklichen Gesicht Saras Mutter, das die Kamera behutsam aus nächster Nähe abmisst, scheint kaum noch Hoffnung auf ein besseres Leben eingeschrieben. Am Ende ist es Sara, die die Wohnung verlässt.

Mo 30.08.Schaubühne Lindenfels
19 UhrIn Anwesenheit von Sara Fattahi

regulär: 6,5€ / ermäßigt 5,5€
im Doppel: 11€ / ermäßigt 9€

30.08.2021 | Chaos (AT/SY/LB 2018, Sara Fattahi)

AT/SY/LB 2018, R: Sara Fattahi, D: Raja, Heba, Jaschka, Dok, 95’, OmeU, DCP

Labyrinthisch von dem erzählen, was filmisch kaum zu greifen ist: innere „Kriegszustände“, die uns der mit fiktionalen Elementen angereicherte Dokumentarfilm doch erahnen lässt. Mehrere Frauen, die mit und vor allem in ihren Erinnerungen und psychischen Ängsten leben, setzen sich zu einem brüchigen Gesamtbild zusammen. Man sieht sie in langen Einstellungen beim Verrichten alltäglicher Dinge, oft begleitet durch bedrohliche, verfremdend wirkende Töne, die auf ein abgründiges Mehr verweisen. Eine der Frauen verließ Damaskus und versucht nun in liebevollen Bildcollagen, ihren Traumata, der Flucht, dem Verlust des Bruders und der vertrauten Umgebung eine Gestalt zu geben. Die schwedischen Wälder, die sie nun umgeben, ängstigen sie. Hierzu unvermittelt parallel montiert: eine ältere Frau richtet in Damaskus das Zimmer eines für immer Abwesenden her, als könne er jederzeit wiederkehren. Ihr Verlust geht mit räumlicher wie innerlicher Isolation einher; während sie einmal aus dem Fenster ihrer düsteren Wohnung blickt, vernehmen wir Bombendetonationen aus unbestimmter Ferne. In Wien schließlich, folgt die Kamera einer weiteren Frau, deren Identität rätselhaft bleibt.

Mo 30.08.Schaubühne Lindenfels
21 UhrIn Anwesenheit von Sara Fattahi

regulär: 6,5€ / ermäßigt 5,5€
im Doppel: 11€ / ermäßigt 9€

31.08.2021 | KRABI, 2562 (UK/TH 2019, Ben Rivers & Anocha Suwichakornpong)

UK/TH 2019, R: Ben Rivers & Anocha Suwichakornpong, D: Siraphun Wattanajinda, Arak Amornsupasiri, Primrin Puarat, 93’, OmeU, DCP

2562 ist laut buddhistischem Kalender das Entstehungsjahr des Films, 2019. KRABI, 2562, die erste kollaborative Arbeit von Anocha Suwichakornpong und Ben Rivers, erkundet Landschaften, Mythologie und Geschichten der lokalen Community von Krabi, einem touristischen Hauptziel in Südthailand. Wir begegnen einem alt gewordenen Ex-Boxer, der vor seinem Haus die Ruhe genießt, einem Filmvorführer, der als Hausmeister in einem lange geschlossenen Kino arbeitet, einer Filmcrew, die einen skurrilen Werbespot am Meer dreht, dazu Neanderthaler*innen, die durch die Gegenwart streunen, und ein phallischer Fruchtbarkeitsschrein, der bei der Erfüllung eines Kinderwunschs behilflich sein soll.

Nahtlos wechseln die 16mm-Aufnahmen zwischen dokumentarischer und fiktionalisierter Ebene, immer auf der Suche nach Bildern, die ein kulturelles Gedächtnis verkörpern. Was real ist, spielt dabei eine geringe Rolle: am Ende ist alles Kino. Aber: der Gleichschritt der Paraden der staatlichen Militärregierung ist mehrmals hörbar, die Soldat*innen kommen dabei nicht ins Bild, bleiben auf der Tonspur in Hörweite. Ein vielschichtiger Film, der elegant schimmert, dabei stets mühelos bleibt und seine Sozialkritik an keiner Stelle marktschreierisch vermittelt. Eine spielerische, quecksilbrige Séance.

Di 31.08.UT Connewitz
19 Uhrregulär: 6,5€ / ermäßigt 5,5€