Retrospektive | BAD GIRLS GO TO HEAVEN







US 1974, R: Stephanie Rothman, D: Sarah Kennedy, Laurie Rose, Cassandra Peterson, 80’, engl. OV, DCP
„Ich habe ihn so verpackt, wie es mir aufgetragen wurde, nämlich als hübschen, sexy, grafisch starken und (so hoffe ich) komischen Film. Heute nennen Filmwissenschaftler:innen so etwas Second-Wave-Exploitation, aber als ich ihn drehte, war es einfach ein Low-Budget-Exploitation-Film, der transgressiver sein musste als die Filme der großen Studios, um konkurrenzfähig zu sein“, so die Regisseurin Stephanie Rothman 2023 zu ihrem letzten Film. Ähnlich ihrer Vorgängerwerke THE STUDENT NURSES (1970) und GROUP MARRIAGE (1973) ist auch THE WORKING GIRLS eine 68er-haft libertäre Sex- und Beziehungskomödie, die um ein Ensemble ungleicher Frauen kreist, welche sich angesichts ihrer persönlichen (Miss-)Lagen zu einer solidarischen Gemeinschaft zusammenschließen. Und wie ebenso für Rothmans Filmkosmen üblich, schwingt hier eine Menge Zeit- und Lokalkolorit mit: ein sonnendurchflutetes Los Angeles der Striptease-Nachtbars, riesigen Werbereklamen und ur-amerikanischen Diners, ein Kino der Hotpants, weiten Hemdkragen, Batikshirts, der Kleinganoven, Dealer und Spinner.
Und auch wenn Rothmans Kino der 70er stets von Gruppen und ihren Ritualen, Aushandlungen und Konflikten handelt, verliert sie nie ihre liebevoll gezeichneten Figuren aus dem Blick. Dieser Blick ist unaufgeregt und zärtlich – selbst dann, wenn es die Umwelt ihrer Figuren nicht ist.
Mit freundlicher Genehmigung durch Vinegar Syndrome, LLC
Di 10 Sept | Luru Kino in der Spinnerei |
21:00 Uhr | € 7 (6 ermäßigt) |
Retrospektive | BAD GIRLS GO TO HEAVEN










US 1977, R: Roberta Findlay, D: Tara Chung, Jennifer Jordan, Jake Teague, 84’, engl. OV, DCP
Ein Film, der die zwei „extremsten“ Filmgenres aufgreift, sie zusehends eine unheilige Allianz eingehen lässt: A WOMAN’S TORMENT beginnt als satirischer Hardcore-Porno angesiedelt im New-Yorker-Upper-Class-Milieu, um bald darauf den Fokus auf die leidende Karen (Tara Chung) zu richten und damit in düstere Gefilde hinüberzugleiten; Psychohorror und Slasher-Gore halten nun Einzug. Findlay, die unter dem Pseudonym Robert W. Norman auftritt, interessiert sich nicht bloß für den Wechsel von Atmosphären und Perspektiven, sondern eben auch fürs Wechselbad der (Publikums-)Gefühle – für das Eskalationspotential ihres Genremix. Das ist ungewöhnlich für einen Vertreter des kommerziellen, oft formelhaft produzierten Adult Films, bei dem klar sein sollte, „was man bekommt“, bei dem das Ziel in entsprechenden Bahnhofskinos eben darin bestand, ein (männliches) Publikum aufzugeilen. Wahn und handfester Schrecken machen dem Lustprinzip hier einen Strich durch die Rechnung.
A WOMAN’S TORMENT kommt wie die X-Rated Variante des House of Psychotic Women Genres daher, das die feministische Genrehistorikerin Kier-La Janisse mit ihrem Essaybuch gleichen Namens würdigte (2012). Auch die Assoziation zur toxischen Männerwelt von Roman Polanskis stilprägendem Horrordrama REPULSION (1965) liegt nahe. Bei allem Traditionsbewusstsein zeigt uns Findlays Film aber auch schlicht, wie radikal der US-Genrefilm der 1970er war – was alles im Kino möglich war.
Di 10 Sept | Luru Kino in der Spinnerei |
19:00 Uhr | Mit einem Videointerview zwischen André Malberg (Filmsammler und -historiker) & Roberta Findlay € 7 (6 ermäßigt) |
Carte Blanche | DIE KINOTHEK ASTA NIELSEN







KURZFILMROLLE & GESPRÄCH
Benannt nach der dänischen Schauspielerin und vermutlich ersten globalen Stummfilmikone Asta Nielsen (1881–1972), gründete sich die Kinothek Asta Nielsen als feministische Filminitiative 1999 in Frankfurt am Main. Als Verein von Filmliebhaber:innen nimmt sich die Kinothek seitdem der Wiederentdeckung, Archivierung und Präsentation der Filmarbeit von Frauen und LGBTQI-Menschen an. Das Bemühen, diese und deren Arbeiten durch zahlreiche Filmreihen, Einzelveranstaltungen und Publikationen erneut sichtbar zu machen, ist dabei nicht aus einem nostalgischen Impuls heraus begründet, als vielmehr mit dem Ziel verbunden, Zusammenhänge und Ursachen zu beschreiben, die zu deren Verdrängung beziehungsweise unterbrochenen Rezeptionsgeschichte geführt haben. Das Filmfestival Remake. Frankfurter Frauen Film Tage, das seit 2018 jährlich ausgerichtet wird, zählt zu den jüngeren Aktivitäten der Kinothek und stellt einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung moderner Modelle zur Kino- und Archivarbeit sowie der zeitgemäßen Vermittlung von Filmgeschichte dar.
Im Zuge einer Kooperation haben wir die Betreiber:innen eingeladen, eine Kurzfilmrolle mit Arbeiten aus ihrem Archiv zusammenzustellen und über diese ins Gespräch zukommen. Neben den präsentierten Filmen selbst soll es unter anderem um das Erschließen von Kinoräumen sowie das Entdecken und Öffentlichmachen von Vergessenem gehen.
Die analoge Auswahl beinhaltet etwa Ula Stöckls Debütfilm ANTIGONE (1964), in dem sie die zentralen Konflikte des Tragödienstoffes auf die reinen Handlungsmomente reduziert sowie Matthias Müllers Found Footage-Streifen HOME STORIES (1990), eine Collage aus US-Melodramen und Kriminalfilmen der 1950er und 1960er Jahre. Erzählroutinen und wiederkehrende Klischees erlauben es Müller, Szenen aus verschiedenen Filmen mit unterschiedlichen Protagonistinnen nahtlos ineinander übergehen zu lassen: Stars wie Tippi Hedren, Kim Nowak und Grace Kelly telefonieren, schlafen unruhig, lauschen an der Tür, sind entsetzt. Ihre Bewegungen und Gesten wirken in der Montage geradezu choreografiert. Gleichzeitig zeigt Müllers Bearbeitung, wie Frauen zum voyeuristischen Opfer eines filmischen (= männlichen) Blicks werden. In Cathy Joritz’ zweiminütiger, humorvoller Rachefantasie von 1985 geht Joritz den Titel gebenden „Negative Man“ über den Umweg des Filmmaterials an: Ihren visuellen Kommentar hat die Regisseurin direkt in die Filmschicht gekratzt.
HOME STORIES
DE 1990, R: Matthias Müller, ohne Dialog, 6‘, 16mm
TAKE COURAGE
DE 1987, R: Maija Lene Rettig, ohne Dialog, 9’, 16mm
MAMMA HERMMERS GEHT MIT IHREM PASTOR ZUM LETZTEN MAL ÜBER’N HEINRICHPLATZ: KREUZBERG ADIÖ
DE 1981, R: S.M. Rosi, deutsche OV, 9’, 16mm
FAMILIENGRUFT – EIN LIEBESGEDICHT AN MEINE MUTTER
DE 1981, R: Maria Lang, deutsche OV, 10’, 16mm
ANTIGONE
DE 1964, R: Ula Stöckl, deutsche OV, 9’, 16mm
KUGELKOPF
AT 1985, R: Mara Mattuschka, ohne Dialog, 6’, 16mm
ES HAT MICH SEHR GEFREUT
AT 1987, R: Mara Mattuschka, deutsche OV, 2’, 16mm
JOHNNY ODER DAS ROHE FLEISCH
DE 1984, R: Eva Heldman, deutsche OV, 4’, 16mm
KOOL KILLER
DE 1981, R: Pola Reuth, ohne Dialog, 5’, 16mm
NEGATIVE MAN
DE 1985, R: Cathy Joritz, engl. OV, 2’, 16mm
Mo 9. Sept | Schaubühne Lindenfels |
21:00 Uhr | In Anwesenheit von Lou Deinhart (Kinothek Asta Nielsen) € 7 (6 ermäßigt) |
Hommage | Rose Lowder
















Seit Ende der 70er Jahre ist die in Peru geborene Rose Lowder als Kuratorin von Filmprogrammen, Universitätsdozentin, Co-Gründerin der Archives du film expérimental d’Avignon, Buchautorin und Filmemacherin in Frankreich tätig. Ihre eigenen, ausschließlich auf 16mm realisierten Arbeiten – mal stumm, mal mit Ton oder Musik – bestechen vor allem durch eine faszinierende Auseinandersetzung mit den Bewegungen, Formen, Farben und Strukturen der Pflanzen- und Tierwelt, aber auch durch die Erkundungen der Möglichkeiten von physischer Materialbearbeitung, Montagetechniken, Schärfen, Licht und Raum.
Wir zeigen eine Auswahl ihres Werks, die dabei nicht der Logik der chronologischen Abhandlung folgt, sondern ein dialogisches Aufeinander-Bezug-Nehmen intendiert. Exemplarische Beispiele ihres Schaffens werden im Programm in rhythmisch-sensuelle sowie thematische Beziehungen gesetzt. Der avantgardistischen Idee eines neuen Sehens und Erfahrens verschrieben, lassen sich in PARCELLE frühe Farb- und Bewegungsmusterexperimente bestaunen, die dann wesentlichen Einfluss auf die fortlaufende Reihe BOUQUETS haben, die in jeweils einminütigen Fragmenten Blumenwiesen, Menschen, Tiere und Objekte miteinander in einen rasenden Bilderrausch katapultieren. Die enorm hohe Schnittfrequenz, die Mehrfachbelichtungen und die teils ungewöhnlichen Kameraperspektiven und Kompositionen erschaffen mit den Mitteln der Filmkunst neue Welten, die seltsam losgelöst und doch poetisch verbunden sind mit den uns bekannten Parametern. So bekommen Objekte immer wieder neue Bedeutungen: Windsurfer werden zu Schmetterlingen oder Gräser zu menschlichem Haar.
In BEIJING 1988 wird dann die Stadtlandschaft Pekings kurz vor den Tian’anmen-Protesten, mit ihren Fahnen, Fahrrädern und Tai-Chi-Figuren zur sprudelnden Inspirationsfläche. RUE DES TEINTURIERS schließlich lässt Frame für Frame die titelgebende Straße hinter einer Balkonpflanze tanzen und entwickelt einen hypnotischen Sog jenseits von bekannten Bedeutungsfeldern. Ein Raum der unmittelbaren Erfahrung entsteht. Ein ultra langsames Kino der gesteigerten Geschwindigkeit und der gesteigerten Sinne, das der Sinngebungsmaschine im Kopf – Schnitt für Schnitt – die eingefahrenen Verbindungslinien zersägt. Zum Abschluss des Programms folgt LA SOURCE DE LA LOIRE dem Lauf der Loire von ihrer Quelle hinab und trennt Bild- und Tonebene voneinander. Erst schwelgen wir im elegischen Sonnenlicht, dann entlässt uns der Film ins gänzlich schwarze Bild. Wir hören die nachgereichten Geräusche des eben Gesehenen, während der Fluss vor dem inneren Augen weiterströmt, zerläuft und neu zusammenfließt.
PARCELLE
FR 1979, silent, 3′, 16mm
BOUQUETS 6-10
FR 1994-1995, silent, 5′, 16mm
BOUQUETS 28-30
FR 2005, silent, 4′, 16mm
BEIJING 1988
FR 1988-2011, sound, 12′, 16mm
RUE DES TEINTURIERS
FR 1979, silent, 31′, 16mm
LA SOURCE DE LA LOIRE
FR 2019-2021, sound, 19′, 16mm
Mo 9. Sept | UT Connewitz |
19:00 Uhr | In Anwesenheit von Rose Lowder € 7 (6 ermäßigt) |
Thema | OUR SCREENS






FR 2023, R: Guilhem Causse, Ekiem Barbier, Quentin L’Helgoualc’h, 95’, engl. OmU, DCP
963 Stunden in einem virtuellen Überlebensszenario. So lange war das Regisseuren-Trio von KNIT’S ISLAND – oder vielmehr ihre erschaffenen Charaktere – in der Videospielwelt des Online-Survival-Horror-Spiels DayZ unterwegs. Ihre Mission in der 225 km² großen Landschaft des fiktiven, postsowjetischen Lands Tschernarus: journalistisch unterwegs zu sein und dabei lange genug am Leben zu bleiben, um andere Gamer:innen und Gemeinschaften zu treffen, in ihren Kosmos einzutauchen und sich mit ihnen austauschen zu können. Über Motivationen, Ziele und Realitäten – innerhalb und außerhalb des virtuellen (Über)Lebens. Von Avatar zu Avatar.
DayZ ist ein MMO (Massively Multiplayer Online Game), das heißt eine riesige Anzahl an Teilnehmer:innen ist durch das Internet verbunden und spielt gemeinsam. Vor und während der COVID-Lockdowns verbringen die Filmemachenden ihre Zeit in dieser VR-Welt. KNIT’S ISLAND schafft es sowohl einen eindrücklichen Einblick in die Spieleästhetik dieses hyperrealistischen Mainstream-Horror-Games als auch auf deren Bewohner:innen zu geben. Dabei hinterlässt er die beunruhigende Frage, welche Welt sich realer anfühlt.
So 8. Sept | Schaubühne Lindenfels |
21:00 Uhr | € 7 (6 ermäßigt) |