Terra de Ninguém / No Man’s Land (PT 2012, Salomé Lamas)

PT 2012, R: Salomé Lamas, 72′, Dok, OmeU, DCP

In Lamas‘ Langfilm-Debüt berichtet Paulo de Figueiredo (66) vom Töten. Als junger Mann kämpft er als Soldat auf der Seite der Kolonialisten während der Befreiungskriege in Mosambik und Angola. Nach der Nelkenrevolution in 1974 arbeitet er zunächst als von der CIA angeworbener Söldner in El Salvador, um schließlich im Auftrag der antibaskischen Untergrundorganisation GAL (Grupos Antiterroristas de Liberación) zu morden. Neben die damalige Kaltschnäuzigkeit des Tötens – in Angola „gab es keine Gefangene, nur Leichen“ – reiht sich die heutige des Berichtens. Paolo liefert keine Beichte, kein Geständnis, sondern eine unbarmherzige und unkritische Schilderung seiner Killer-Biografie. Kaufen lassen habe er sich nie, aber Geld habe immer eine Rolle gespielt. Und dass jedes der Opfer es verdient hätte zu sterben, versteht sich von selbst. Die Sehnsucht nach dem einstigen Blutrausch treibt Paulo im friedlichen Portugal in die Notaufnahmen, um den „süßen Geruch von Blut“ wieder einzuatmen.

So simpel wie die Anordnung der Erzählsituation – neben Paolo selbst ein feste Kameraeinstellung, ein Stuhl und ein schlicht ausgestatteter Raum – so komplex die Behandlung der Voraussetzungen dokumentarischen Erzählens: Authentizität, Zeugenschaft und historische Wahrheit. Deren Verlässlichkeit und Unhintergehbarkeit problematisiert Lamas in einer auf den ersten Blick unauffälligen Erzählung, in der Geschichte und Geschichten miteinander vermischt werden.

16. April, 21Uhr – UT Connewitz – € 6,5 (5,5 erm.)

[Parafiktion | Salomé Lamas]


Trailer

Das Kino und der Tod / „L’Argent“ von Bresson (BRD 1983/1988, Hartmut Bitomsky)

Im Spielfilm ist das Sterben nie wahrhaftig, die Dramatik des Todes jedoch omnipräsent, vor allem im mal gradlinigen, mal beschwerlichen Weg, den die Filmfiguren bis zu ihm gehen müssen. Denn, „es ist eher das Töten, das das Kino beschäftigt und weniger der Tod. Das Kino beschäftigt sich mit Tätigkeiten und weniger mit Zuständen.“

Mit einer Einführung von Frederik Lang

17. April, 19 Uhr – Luru Kino in der Spinnerei – € 6,5 (5,5 erm.)

[Arbeit am Bild | Einblicke in das Werk von Hartmut Bitomsky]


„L’ARGENT“ VON BRESSON

BRD 1983, R: Hartmut Bitomsky, Manfred Blank, Harun Farocki, 30′, dOV, File


DAS KINO UND DER TOD

BRD 1988, R: Hartmut Bitomsky, 46′, dOV, Betacam SP

DAS KINO UND DER TOD ist ein Filmessay zur Narratologie des „Kinotodes“ im kommerziellen Kino, der gern mit pittoresken Schauplätzen und selbstbezüglicher Schauspielkunst einhergeht. Bitomskys inszenatorische Reduktion verkörpert das glatte Gegenteil: Er sitzt den gesamten Film über in einem Arbeitszimmer mit gedimmter Beleuchtung, wir werden ausgebreiteter Filmfotos, abbrennender Zigaretten im Aschenbecher und verwendeter Bücher gewahr – eine scheinbar private Situation, ein intimer Dialog mit den Filmen.„L’ARGENT“ VON BRESSON stellt den Versuch einer filmanalytischen Betrachtung mit den Mitteln der Kinematographie dar. Dass es sich hierbei um eine methodisch reflexive Annäherung an Robert Bressons letzten Film handelt und nicht um ein bloßes Wiedergeben oder gar Schwärmen, macht Bitomsky gleich zu Anfang deutlich: Vor ihm auf dem Tisch liegt sein Untersuchungsobjekt, verdichtete Kinomomente in Form von Schwarzweiß-Fotografien aus Bressons in Farbe gedrehtem Film – kein ästhetischer Mangel, da „in dem gleichen Verhältnis ein Film zu dem [steht], was über ihn gesagt oder geschrieben wird“.


Ausschnitt

Das Kino und der Wind und die Photographie (BRD 1991, Hartmut Bitomsky) / Spare Time (UK 1939, Humphrey Jennings)

DAS KINO UND DER WIND UND DIE PHOTOGRAPHIE

D 1991, R: Hartmut Bitomsky, 56′, dOV, DigiBeta

SPARE TIME

UK 1939, R: Humphrey Jennings, 15′, englische OV, 16mm

Wie müsste man das Verhältnis von dokumentarischem Film zur Wirklichkeit bestimmen? Zielt er auf Authentizität ab oder ist er vielmehr ein „Exil der Realität“, eine „fremde Heimat der Wirklichkeit“, in der das Vorfilmische, seine Unmittelbarkeit abstreifend, erst zu seinem Recht kommt? Wo verliefe innerhalb seiner Inszenierung die Grenze zum Spielfilm, wenn sie überhaupt zu ziehen gelingt?

Von solchen Fragen handelt der in sieben Kapitel eingeteilte Filmessay zur Geschichte und Ästhetik des Dokumentarfilms, dessen Form diese offene Suchbewegung dezidiert aufnimmt. Denn es geht weniger darum, einzelnen Protagonist*innen und Theoretiker*innen des Dokumentarfilms ein Richtig oder Falsch zuzuweisen. Im Vordergrund steht der unabgeschlossene Dialog mit ihren Ideen – in einer Art räumlichen Versuchsanordnung. Wir betrachten, wie Hartmut Bitomsky und seine Mitarbeiter wiederum Filme betrachten und zueinander ins Verhältnis setzen. Zu sehen sind sie in einem Arbeitsraum; diverse Monitore mit VHS-Rekordern sind aufgestellt, Theorie-Bücher stapeln sich, zwischendurch werden Kassetten der nächsten Filmbeispiele gesucht und Regieanweisungen gegeben. Die ästhetische Eigenwertigkeit der Beispiele rückt dabei in den Hintergrund, es zählt die visuelle wie ideelle Vermittlungsarbeit. Beispielsweise erfahren Ausschnitte aus Humphrey Jennings SPARE TIME eine ästhetische Übersetzung. Im Anschluss an Bitomskys Film wird er dann in Gänze zu sehen sein – was wird am Referenzwerk betont und was fallt heraus?“

17. April, 21 Uhr – Luru Kino in der Spinnerei – € 6,5 (5,5 erm.)

[Arbeit am Bild | Einblicke in das Werk von Hartmut Bitomsky]

L’Époque / Young and Alive (F 2018, Matthieu Bareyre)

F 2018, R: Matthieu Bareyre, Dok, 96′, OmeU, DCP

Paris zwischen 2015 und 2017. Interviews auf den Straßen und in den Cafés. Der Charme adoleszenter Selbstüberschätzung vermischt sich mit dem fatalen Gefühl verloren und ohne Zukunft zu sein. Die Reaktionen darauf sind vielfältig. Es wird gelacht, getanzt und auf den Prachtstraßen die Bourgeoisie provoziert. Andere diskutieren Zusammenschlüsse. Solidarität. Reflektieren ihr Leben unter kapitalistischen Bedingungen. Hin und wieder sehen wir brennende Barrikaden oder Polizisten, die gefesselte Menschen schlagen. Straßenzüge, gezeichnet von Riots, die sich entzünden, weil schon wieder ein schwarzer Jugendlicher in Polizeigewahrsam misshandelt wurde und ein anderer umkam. Eine Zeit, geprägt durch die Bewegung „Nuit debout“, aber auch von den Attentaten auf Charlie Hebdo und das Bataclan.
Und dann ist da Rose. Eine junge Französin, voller Energie und Witz, mit einem Leuchten in den Augen. Sie berichtet von Racial Profiling, streitet über Identität und erklimmt das Monument auf dem Platz der Republik. L’ÉPOQUE: Keine Reise ans Ende der Nacht. Eher ein flammender Cocktail, der seine Schatten voraus wirft. Ein fiebriger Ritt, getragen und getrieben durch eine Vivaldi-Sonate in d-Moll. Die Bestandsaufnahme einer Generation auf dem Sprung in eine neue Ära, wäre da nicht die alte.

18. April, 22 Uhr – Schaubühne Lindenfels – € 6,5 (5,5 erm.)


Trailer

The Watermelon Woman (USA 1996, Cheryl Dunye)

USA 1996, R: Cheryl Dunye, D: Cheryl Dunye, Guinevere Turner, Valarie Walker, Cheryl Clarke, Sarah Schulman, Camille Paglia, Brian Freeman, 90′, englische OV, DCP

Philadelphia in den 1990er Jahren. Cheryl und Tamara sind Teil der „black lesbian community“ der Stadt und verdienen ihr Geld in einer Videothek. Nebenher versucht Cheryl ihren Einstieg als Filmemacherin in die Gänge zu bekommen und beginnt mit dem Dreh einer Dokumentation. Mit der Idee im Kopf, einen Film über die attraktive „Watermelon Woman“ zu produzieren – eine Nebendarstellerin in vielen Streifen der 1930er und 40er Jahre, die im Abspann immer nur unter diesem Namen zu finden ist – beginnt sie ihre Recherche. Die Sphären verflechten sich zunehmend und neben dem Mainplot, der von Cheryls Liebesleben und Freundschaften erzählt, wird durch pseudodokumentarische Interviews auch immer mehr über die sogenannte „Watermelon Woman“ aufgedeckt, deren Leben einige Parallelen zu dem der Protagonistin bereithält. In Dunyes Film trifft fiktive Dokumentation auf fiktionale Spielfilmatmosphäre und schafft eine amüsant und nonkonform inszenierte politische Bestandsaufnahme über die vielschichtige Verbindung von Sexualität, Klasse und Hautfarbe.

Eigens für die Produktion des Film wurde der fiktive Charakter, der hinter der „Watermelon Woman“ steht, sowie ein dazugehöriges fotografisches Archiv von Cheryl Dunye und Zoe Leonard entworfen: Fae Richards, eine afroamerikanischen Schauspielerin, die im frühen 20. Jahrhundert lebte und für ihr Engagement in der Bürgerrechtsbewegung bekannt war. Dunye führt ihre Fälschung einer Lebensgeschichte auf den Mangel an Informationen im wirklichen Leben zurück: „The Watermelon Woman came from the real lack of any information about the lesbian and film history of African-American women. Since it wasn’t happening, I invented it.“ (Cheryl Dunye).

19. April, 20 Uhr – Schaubühne Lindenfels – € 6,5 (5,5 erm.)


Am gleichen Tag findet um 19 Uhr in der Schaubühne Lindenfels eine Lecture von Natascha Frankenberger zu Arbeitsweisen des Projekts von Dunye und Leonard neben anderen Beispielen und Aspekten von queeren Gegenarchiven und aktivistischer Sichtbarmachung marginalisierter Künstler*innen und deren Lebensweisen statt.


Trailer